Unser aktueller Einsatz führt uns diesmal nach Griechenland. Am 26.08.2016 sind wir am Abend auf Lesbos angekommen und waren für ein paar Tage in Moria.

Lesbos

Seit Schließung der griechisch-mazedonischen Grenze ist Griechenland für die meisten Menschen auf der Flucht zur Endstation geworden. Auch auf Lesbos geht es auf legalem Weg nicht weiter. 93.000 Menschen sind hier seit Anfang des Jahres gestrandet. Davon waren es im August nur etwa 1000. Zum September hin kommen im Schnitt täglich 50, an manchen Tagen aber auch fast wieder 300 aus der Türkei nach.

Etwa 25 Menschen verlassen im Schnitt täglich die Insel in Richtung Athen. Mehr Bearbeitungen schaffen die Behörden nicht. Die Lager sind voll. Voll von resignierenden, gedemütigten, verzweifelten Menschen mit vielen Frauen und Kindern. Es gibt keine Beschäftigung. Auf unsere Frage, womit sie ihre Zeit hier gerne sinnvoll füllen würden, antwortet einer für offensichtlich die meisten: Mein Kopf ist so voller Sorgen, dass ich mich wie gelähmt fühle. Wir geben den Link zu den wunderbaren deutsch Lernheftchen der Münchner Flüchtlingshilfe überall weiter und versuchen die Menschen zu mehr Eigeninitiative, sowie wenigstens zu mehr Bewegung zu motivieren.

Die Versorgung ist zur Zeit noch gewährleistet. Die NGO’s kümmern sich unter anderem auch um die Entsorgung und zumindest in kleinem Rahmen auch Wiederverwertung des katastrophalen Plastikmüllberges. Daher verlassen wir nach zwei Tagen ärztlichem Schichtdienst in Moria die Insel in Richtung Thessaloniki. Aber alle erwarten zum Herbst hin wieder eine starke Zunahme der Ankommenden und die Kapazitäten der Lager und der Wartenden sind bereits jetzt erschöpft.

 

 

Thessaloniki

Die Straßen von Thessaloniki

Stolz holt der Mann mit dem krummen Rücken seinen Pappkarton aus dem Gebüsch und schon haben wir am Parkrand eine Behandlungsliege. Unsere kapitulierte schon am ersten Tag unter dem Gewicht der Sitz- und Schaulustigen unseres „Wartezimmers“.

Die neben uns haben sogar gemeinsam eine Decke. Wenn die Gesichter nicht so bedrückt wären und es auch etwas zu essen oder trinken gäbe, könnte man an ein Picknick denken. Die Kinder scheint das ewige Warten, Laufen, immer wieder dursten und hungern, auf dem Boden schlafen, die Verzweiflung und Angst ihrer Eltern spüren, vielleicht Eltern oder Geschwister verlieren, nichts auszumachen, so wie sie, ganz im Hier und Jetzt, selig auf der Schaukel schwingen. Die meisten waren schon einige Male bis nach Mazedonien oder Serbien gekommen, haben sich die Füße wund und die Schuhe kaputt gelaufen und warten hier auf den Straßen und den Parks von Thessaloniki auf den nächsten Versuch.

Ein Zurück gibt es nicht, in die Lager möchten sie nicht. Als Afghaner werden sie regelmäßig in Bussen abtransportiert. In Softex gibt es schon keine mehr, nachdem vor einigen Tagen mehrere Hundert gleichzeitig in Busse gesteckt und weg gefahren wurden. Man weiß nicht so genau wohin, wahrscheinlich in die Türkei. Zum Glück gilt hier das gleiche System wie auf Lesbos oder Chios. Die Ertrunkenen und auf der Strecke erwischten brauchen nicht zu zahlen.

 

 

Auf Wiedersehen Vagiochori

Hier werden die in Mazedonien oder Serbien aufgefangenen Menschen abgeladen. Es empfängt sie ein Camp, in dem es nur ein mageres Essen und keine Hilfe von außen gibt, außer ein Mal die Woche für zwei Stunden einen Arzt.

Unser schnell improvisiertes Essen aus einer Gaststätte wird begeistert angenommen und wir dürfen zwar nicht in das Camp hinein aber gerne draußen medizinisch arbeiten. Und die angerufenen NGO’s aus Thessaloniki versprechen ab Morgen Essen zu bringen.

Die Gesichter erzählen ihre eigenen Geschichten von Strapazen und Hoffnungslosigkeit. Tagelang seien sie von den Schmugglern so gut wie ohne Essen und Trinken über die Berge gehetzt worden. Die ganz schwachen blieben auf der Strecke. Und so gibt es wieder außer Leid auch Tote.

Ein Palästinenser, den wir mit seiner bildhübschen Frau und zwei weinenden Krabbelkindern in unserem Bus mit nach Thessaloniki mitnehmen, erzählt, dass sein Freund in den Wäldern Mazedoniens von einem der Schmuggler, der mehr Geld erpressen wollte, erschossen wurde. Er selbst und seine Familie seien geflohen. Seine Schwiegermutter warte in Deutschland. Später schickt diese uns voicemails von dem Schmuggler, in denen dieser droht Frau und Kinder umzubringen.  Albanien und Rumänien, hören wir von Anderen, seien noch gefährlicher. Da herrsche die Mafia. Das Mittelmeer ist nicht mehr der einzige, manchmal tödliche Schutzzaun Europas. Jetzt blüht das Geschäft mit dem Transport an Mafiosi und Polizei vorbei illegal ins „Paradies“.

 

 

Softex

Zur Zeit leben 1.100 Menschen, überwiegend Syrer, in Softex, in einer alten, asbestverseuchten Fabrikhalle, weit ausserhalb Thessalonikis. Es gibt Dixieklos und auch kalte Duschen, mageres Essen, aufgefrischt von pakistanisch-englischen NGO’s außerhalb des Lagers. Sie haben auch einen komfortablen Medizinbus, der aber zur Zeit außer uns ohne Ärzte und mit wenig Medikamenten bestückt ist.

Die Ärzte im Lager würden nach Aussagen der Patienten alles mit Paracetamol behandeln und notwendige stationäre Behandlungen zwar rezeptieren, aber nicht veranlassen. So liegen denn auch viele bettlägerig, oft alleine, weil ihre Angehörigen umgekommen sind, in ihren Zelten.

Es gibt Strom für Ventilatoren und Glühbirnen sowie manchmal einer Kochplatte, aber das zweipolige, oft nur lose verknotete Kabelnetz ist eine Katastrophe und äußerst lebensgefährlich. Wir geben die Information an die Lagerleitung weiter, ohne dass etwas verändert wird.

Medizinisch haben wir sowohl im Medidocmobil und im englisch-pakistanischem Bus, als auch in den Zelten gearbeitet. Vor zwei Tagen wäre ohne uns ein Syrer wahrscheinlich an seinem allergischen Schock gestorben. Bei vielen konnten wir nur die Symptome lindern, einige versuchen wir mit Hilfe unserer Freundin Eva umzuverlegen. Ein Problem sind auch die Moskitos, die in dem kloackigen Bach, der an das Camp grenzt, brüten. Pünktlich zu Einbruch der Dämmerung fallen Sie über jeden her und viele haben entzündete Stichumgebungen.

 

Lagkadikia und was eine Selbstverwaltung bewirken kann

Wenn der Meter hohe Stacheldrahtzaun und die Soldaten nicht wären, könnte man sich manchmal wie in einem friedlichen Dörfchen wähnen. Die Kinder laufen fröhlich herum, Männer und Frauen sitzen, jeweils für sich entspannt in Gruppen zusammen. Jemand verkauft Zigaretten und Kekse. Es gibt einen großen Schulraum mit einem vollen Wochenplan. Die Bänke stammen von dem deutschen Ehepaar, von dem wir auch das Medidocmobil haben. Wir fragen nach Musikinstrumenten und auch diese versprechen sie zu besorgen. Im Vorschulkindergarten wird gerade soziales Verhalten unterrichtet. Es gibt einen Gemeinschaftsraum, in dem verschiedene Veranstaltungen stattfinden. Das Team von Housam Jaffra umfasst inzwischen 50 Freiwillige, die sich auf eigene Weise um die 900 Menschen, davon 400 Kinder im Camp kümmern.

Zur besseren Kommunikation besorgen wir Ihnen Walky Talkies. Sie haben auch eine Nähwerkstatt eingerichtet, für die wir Nähmaschinen und Garn besorgen.

Sie spielen mit den Kindern, organisieren Sport, säubern die Sanitäranlagen, beseitigen Müll und verhandeln zwischen der Campleitung und den Bewohnern. So gibt es inzwischen zwar schon ordentliche Kochstellen, aber noch keine Kochgenehmigung. Housams sehnlichster Wunsch ist, dass den Menschen diese Möglichkeit, ihr Leben zum Teil selbst zu organisieren, nicht von irgendwelchen Organisationen genommen wird.

Unser sehnlichster Wunsch ist, dass eine solche Art der Selbstverwaltung auch in anderen Camps und auch in Deutschland und anderen Ländern eingeführt werden kann.

 

Jesidencamp

Das einzige nicht miltärisch geführte Flüchtlingslager finden wir in Serres. Hier leben etwa 480 Jesiden und werden von Dimitri und seiner Tochter, der Campleiterin liebevoll, so gut es mit ihren bescheidenen Möglichkeiten geht, unterstützt. Die Atmosphäre ist im Gegensatz zu den meisten Lagern entspannt. Griechische Ärzte kümmern sich ehrenamtlich um die Menschen und Dimitri fährt sie bei Bedarf zu Fachärzten, die ebenfalls ohne Honorar arbeiten.

Wir begleiten ihn in die Apotheke, um lange überfällige Rechnungen zu bezahlen und in den Baumarkt, um alles Nötige für die geplanten Baumaßnahmen zu kaufen, die auch wieder ein Freiwilliger durchführen wird.

Bei unseren Behandlungen im Medidocmomil laden uns die Menschen ein, ihr bescheidenes Essen mit ihnen zu teilen. Unsere Freunde planen die Umsiedlung verschiedener Jesidenfamilien in dieses Camp, da diese von allen anderen Gruppierungen drangsaliert werden.

Wir können Dank Ihrer Spenden mit der Campleiterin eine regelmäßige Unterstützung durch Avicenna einleiten.

 

 

Vielen Dank, dass sie uns auch weiterhin unterstützen und unsere Hilfe möglich machen.