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Bitas Rede zu „Köln stellt sich quer“

Rund 40.000 Menschen waren in Köln zusammen gekommen, um für den Erhalt der Demokratie und gegen eine zugegen eine zunehmende Ausländerfeindlichkeit zu demonstrieren.
Auf Einladung der Veranstalter sprach Bita Kermani für Avicenna:

Ich möchte heute meine Geschichte mit Ihnen teilen – einen
Lebensweg, der durch politische Ereignisse immer wieder neue
Wendungen genommen hat.

Ich wurde in Berlin geboren, während meine Eltern dort studierten. Als
sie ihren Studium beendet hatten, kehrten sie in den Iran zurück, und so
bin ich dort aufgewachsen. Dann kam die Islamischen Revolution und
damit eine neue Wendung in meinem Leben. Aufgrund der politischen
Zustände mussten wir nach Deutschland zurückkehren. Ich habe das
Abitur gemacht und bin meinen Wunsch, Medizin zu studieren
nachgekommen.

Nach meinem Studium konnte ich – anders als meine Eltern – nicht in
den Iran zurückkehren. Das Land hatte sich in eine extremistische
Diktatur verwandelt und war nicht mehr das Land meiner Kindheit und
Jugend. Ich war nicht bereit, die Freiheit und Demokratie aufzugeben,
die ich hier in Deutschland schätzen gelernt hatte.
Ich arbeitete als Ärztin und Psychotherapeutin in meiner damaligen
Landarztpraxis.

2015 rückte mein Migrationshintergrund stärker in den Vordergrund und
wieder nahm mein Leben eine neue Wendung.

Immer mehr Menschen mussten aufgrund extremer politischer und
sozialer Verhältnisse aus ihrer Heimat fliehen.

Als ich von den katastrophalen humanitären und medizinischen
Zuständen auf den Fluchtrouten nach Europa hörte, berührten mich
die Bilder der erschöpften Menschen auf Kilometerweiten
Fußmärschen zutiefst. Kurzerhand beschlossen mein Mann und ich
zum Ort des Geschehens nach Lesbos zu fliegen. Als
persischsprachige Ärzte versorgten wir Geflüchtete mit Nahrung,
Kleidung und medizinischer Hilfe. Mit unserem Verein Avicenna
Kultur- und Hilfswerk begannen wir Notprojekte in vielen
verschiedenen Ländern. Mit der Zeit mussten wir leider zusehen,
dass durch die fortschreitende politische Abschottung Europas aus
akuten Notsituationen dauerhafte Lebenszustände wurden.
Daraufhin veränderte sich unsere Arbeit und aus Nothilfe
entwickelten sich Langzeitprojekte, im Bereich Gesundheit und
Bildung.

  • In Deutschland arbeitete ich inzwischen in Köln, wo immer mehr
    Geflüchtete mit traumatischen Erfahrungen Hilfe suchten. Viele hatten
    in ihrer Heimat aus politischen oder sozialen Gründen Gewalt und
    Diskriminierung erlebt.
    Auf ihrem Weg nach Europa waren sie Unsicherheiten und
    unmenschlichen Bedingungen ausgesetzt. Und selbst im Zielland
    litten viele unter enormen psychischen Druck – die anfängliche
    Hoffnung und Erleichterung darüber angekommen zu sein, wisch
    oft der Hoffnungslosigkeit.
    Dies wurden durch das Leben in Asylcamps, lange unsichere
    Aufenthaltslagen und ständiget Angst vor Abschiebung verstärkt.
    So begann ich zunehmend in meiner Muttersprache und immer
    mehr als Traumatherapeutin zu arbeiten- eine große
    Herausforderung
    Auf meinem Lebensweg habe ich viele Geschichten gehört:
    Geschichten von Menschen, die hier in Deutschland verwurzelt sind,
    von Geflüchteten, die Europa nie erreichten; und Geschichten von
    jenen, die es schafften, hier eine neue Zukunft mit Hoffnung
    aufzubauen. Diese Geschichten haben mich tief berührt – aber auch
    gelehrt: In der Tiefe unseres Seins, wollen wir Menschen alle dasselbe.
    Die Ängste und Sehnsüchte, die uns antreiben, sind universell. Sie sind
    unabhängig von Herkunft, Religion, Hautfarbe oder politischer
    Überzeugung. Ob rechts oder links, ob deutsch oder nicht deutsch, ob
    Geflüchteter oder jemand, der seit Generationen hier lebt – am Ende
    streben wir alle nach Sicherheit, Zugehörigkeit, einem Leben mit Sinn
    und Würde sowie einer besseren Zukunft für uns und unsere Kinder.
    Die entscheidende Frage ist: Lassen wir uns auf dieser Suche von der
    gemeinsamen Hoffnung leiten- oder von der Angst, die uns trennt.
    Ich beobachte, wie wir immer mehr innere und äußere Mauern bauen
    Ich beobachte , wie wir immer mehr in schwarz- weiss denken. Ich
    beobachte, dass wir eine Täter-Opfer-Kultur aufbauen .
    Dieses zwei geteilte Denken ist aber nur möglich,wenn wir den Kontakt
    zu uns und zu dem Gegenüber verlieren.
    Und unsere ganze Energie darauf verwenden uns und den anderen
    nicht wirklich zu sehen, zu hören oder zu spüren.
  • Ich stehe heute hier – mit Angst.
    Schon jetzt spüre ich, dass Sicherheit, Freiheit und Demokratie – Werte,
    die mir dieses Land einst als Zuflucht bot – auch hier keine
    Selbstverständlichkeit mehr sind. Ich weiß nicht, ob ich mich in einigen
    Jahren noch trauen würde, hier zu sprechen. Ob meine Kinder noch
    eine Zukunft in diesem Land haben werden – einem Land, das
    scheinbar so plötzlich in längst überwunden geglaubte Muster
    zurückfallen kann. Ich weiss nicht ob politische Umstände erneut
    meinem Leben eine andere Richtung geben werden.
  • Und doch stehe ich hier – mit Hoffnung.
    Denn ich sehe Sie alle hier stehen: Sie stellen sich quer; Sie haben
    beschlossen nicht wegzuschauen und nicht zu schweigen. Sie wollen
    gehört werden und aufmerksam machen.
    Und nur wenn wir aufmerksam werden – wenn wir bewusst in und um
    uns schauen –, besteht Hoffnung.

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