Nach einem knappen halben Jahr bin ich wieder zurück in Athen. Vieles hat sich verändert und vieles ist immer noch so wie im Winter.
Noch immer leben die Flüchtlinge in den Squats (besetze Häuser) im Anarchisten-Viertel. Nur ist die Frage wie lange noch. Die neue Regierung hat damit geworben, die Häuser zu räumen. Und mit dieser Angst leben dort viele. Vor 2 Monaten wurden die ersten Häuser geräumt – in einer Nacht und Nebel Aktion. Es bleibt den Menschen keine Zeit etwas zu packen und am nächsten Morgen waren die Häuser geplündert. Deshalb bestand meine Hilfe dieses mal auch „nur“ darin, Lebensmittel zu kaufen.
Sie wünschten sich Ventilatoren, da es in den Squats unerträglich heiß ist. Aber durch die Ungewissheit beschloss ich, solche Anschaffungen zu unterlassen. Und mit der Hitze kommen auch die Insekten. Die Menschen haben Stiche am ganzen Körper. Aber auch Kakerlaken und Ratten nisten sich ein. Ganze Keller voller Kleidung mussten vernichtet werden.
Die Armut in den Straßen ist erdrückend. Nicht nur Flüchtlinge leben auf der Straße, viel mehr Obdachlose und Drogenjunkies als noch im Winter sind zu sehen.
Ein Projekt, „Our House“ mit dem Initiator Arash, selber Flüchtling aus dem Iran, besuchte ich 2 Mal. Er lässt inzwischen von 3 verschiedenen Familien für ca. 150 Menschen täglich warme Mahlzeiten zubereiten, die auf der Straße verteilt werden. Bevor das Essen geliefert wird, sind die Kinder der Mittelpunkt. Mit Volunteers, z.T. selber Flüchtlinge, wird gemalt, Volleyball gespielt, getanzt und gelacht. Ich bringe einmal Obst und Süßigkeiten mit für diese Kinder und muss, obwohl ich es eigentlich besser weiß, zum Schluss die Lollys in die Luft werfen, da sonst nicht nur meine Tüten kaputt gegangen wären sondern auch mein T-Shirt.
Arash wollte ich auch mit Lebensmitteln unterstützen, allerdings fanden wir nie Zeit, um gemeinsam einkaufen zu gehen. Arash ist Ansprechpartner für viele Flüchtlinge und bei jedem Notfall klingelt sein Handy und statt Lebensmittel zu kaufen fährt er mit einem jungen Mann ins Krankenhaus, der sich sein Bein gebrochen hat.
Alleine einkaufen könnte ich natürlich schon, aber in dem Arabischen Viertel, wo die Lebensmittel günstiger sind, versteht natürlich keiner englisch wenn ich dort ankomme. Und die guten Preise bekomme ich auch nicht, wenn nicht ein männlicher arabischer Begleiter dabei ist.
Auch habe ich Castro wieder getroffen. Er hat das „Refugee Village for Freedom“ gegründet. Heißt, er hat inzwischen 2 Farmen gepachtet und bewirtschaftet dort zusammen mit Flüchtlingen und Griechen viel Land. Auch sind zu der ersten Kuh, die eine Freundin im Winter gekauft hat, nun 2 weitere dazu gekommen und 2 Kälbchen sind schon gesund geboren.
All das Gemüse, Kräuter, der Joghurt und Käse werden sonntags auf dem Markt in Athen verkauft und natürlich werden die Menschen in den Squats beliefert. Ziel ist es, irgendwann unabhängig von der Regierung und auch Spenden zu werden und den Menschen Arbeit zu geben. Zusätzlich hat er in den 2 letzten Jahren etliche Kneipen eröffnet, wo mit den Lebensmitteln gekocht wird und auch dort hat er 127 Menschen zu Arbeit verholfen.
Zu guter Letzt habe ich in einer „Pharmacy“ in einem Squat für Ordnung gesorgt. Leider sind dort seit langem keine Ärzte mehr tätig und die Medikamente verfallen. So habe ich 8 Stunden lang Medikamente sortiert und nebenbei ein bisschen Schmerztherapie betrieben, da die Menschen neugierig schauten was ich da mache und dann erzählte jeder von seinen Wehwechen.
Viele Flüchtlinge sprechen dort englisch, was für mich sehr schön ist, da ich mich nun auch mit ihnen unterhalten kann. Aber leider sind es meistens sehr traurige Geschichten. Und leider muss ich bei vielen von ihnen in hoffnungslose Augen blicken. Auch ich bin das irgendwie, denn seit 3 ½ Jahren bin ich immer wieder vor Ort und es ändert sich nichts. Es gibt kleine Lichtblicke für einen kleinen Teil dieser Menschen – aber es sind so wahnsinnig viele.
Bita ließ mir eines Abends, als sich meine Nachrichten wohl sehr schwer angehört haben, ein Zitat von Mutter Theresa zukommen:
„In diesem Leben können wir keine großen Dinge tun. Wir können nur kleine Dinge mit großer Liebe tun.“
Und genau deshalb werde ich, werden wir, immer weiter machen. Ich kann nicht die ganze Welt retten, aber zumindest meinen Teil dazu beitragen, und sei er noch so klein. Und wenn es nicht mit materiellen Dingen ist, so hilft oft auch schon ein Lächeln, eine Berührung, Zuhören, meine Versuche, arabisch zu sprechen oder Videos von der Familie auf dem Handy zusammen anzuschauen um ein bisschen Abwechslung und Normalität in ihr Leben zu bringen.
Natascha Köhler berichtet von Ihrem Einsatz in Athen (Juni 2019).
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