Die Lage in Athen ist insofern anders als in der Türkei, da die Menschen hier in besetzten Häusern (Squats) wohnen. Sie haben ein Dach über dem Kopf, im besten Fall ganze Fenster und eine Tür, die abwechselnd von den Männern die im Squat wohnen, überwacht wird.

Die besetzten Häuser sind alte Schulen, verlassene Bürogebäude. Alles Gebäude mit großen Zimmern und diese Zimmer teilen sich bis zu 6 Familien oder 15 „Single-Man“, ihren Teil nur mit Decken und Tüchern abgetrennt. Manche haben Feldbetten, manche Matratzen andere wiederum schlafen auf Kartons.

In manchen Squats gibt es eine Küche, wo die Menschen selber kochen können. Das war eine meiner ersten „Taten“, Haushaltsgeräte zu kaufen.

Andere kochen auf kleinen Gaskochern und wieder andere warten, bis es aus der Großküche warme Mahlzeiten gibt. Die Menschen wünschten sich Frühstück. Also ging es los auf den „Arabischen Markt“ zum Großeinkauf für 380 Menschen. 600 Eier, 30 kg Käse, 25 kg Joghurt, Tahin und Gewürze.

Die meisten Menschen hier warten auf eine Möglichkeit, weiter zu kommen, nach Deutschland, Frankreich, Holland, England. Die Verzweiflung ist groß. Ich blicke in viele traurige Augen. Ehemals stolze Männer, die mir in gebrochenem englisch erzählen, dass sie alles hatten und nun nichts mehr, nicht einmal mehr Arbeit, um sich um ihre Familie zu kümmern. Wieder andere erzählen von ihren Liebsten, die sie hoffentlich bald wieder sehen, irgendwo in Europa oder in ihrer Heimat. Eltern haben ihre Kinder voraus geschickt zur Schwester nach Deutschland, die Ehefrau wartet in England, die Mutter hofft, aus Syrien nachreisen zu können, sobald ihr minderjähriger Sohn in Holland ist. Es sind Geschichten, die mich einerseits sehr traurig machen, andererseits aber auch wieder sehr deutlich machen, wie gut ich es habe. Auch ich habe mich für 2 Wochen von meinen Liebsten getrennt, um in Athen zu helfen. Aber ich kann jederzeit, ohne Probleme, auch wieder zu meinen Liebsten zurück … unvorstellbar was diese Menschen empfinden müssen.

Als Krankenschwester bin ich auch jeden Tag mit medizinischen Problemen beschäftigt. Es gibt mehrere freiwillige Kliniken in Exarchia und auch darf jeder bei einem Notfall ins Krankenhaus. Aber die Realität sieht wie immer anders aus. Ich bin mit einem Familienvater ins Krankenhaus. Er hat Blut gehustet und wurde wohl von einer Klinik wieder weg geschickt. Das habe ich so oft schon gehört, und war mir nicht sicher ob das immer so stimmt. Aber leider musste ich live miterleben, wie diese Menschen dort behandelt werden. Ich will nicht alle über einen Kamm ziehen und ich hoffe, dass ich das Pech hatte an den schlimmsten Arzt in ganz Griechenland zu geraten, aber ich fürchte das ist nicht so. Dieser Mann spricht kein englisch und wäre ich nicht dabei gewesen, hätten sie ihn wieder heim geschickt. Da ich aber schildern konnte was passiert ist, blieb ihnen nichts anderes übrig als doch zu reagieren. Als ich dem Mann sagte, dass er erst mal im Krankenhaus bleiben muss, weinte er bitterlich, denn er wollte zu seinen Kindern. Sein behandelnder Arzt fragte mich, ob ich das Blut gesehen habe, das er anscheinend gehustet hat. Als ich ihm antwortete, dass ich es auch nur als Bild auf dem Handy gesehen habe, erwiderte er, wahrscheinlich lügt er, weil er mal in einem warmen Bett schlafen will. Schluss endlich wurde er aber dann doch 5 Tage dort behandelt und untersucht.

Aber auch nette Menschen habe ich kennen gelernt, die sich sehr bemühen und offen sind. Mit einem Mann bin ich zum orthopädischen Fachgeschäft um seine kaputte Prothese wieder reparieren zu lassen. Der Techniker dort hatte so eine Prothese noch nie gesehen und gab sich sehr viel Mühe mit „Händen und Füßen“ zu erklären was nun gemacht wird und wie sein Leben mit der reparierten Prothese aussehen wird. Außerdem bekamen wir für die Reparatur einen sehr großzügigen Nachlass. Ich freue mich schon auf´s versprochenen Video, wenn die Prothese abgeholt wird!

Einen Hilferuf bekam ich aus einem Dorf an der Küste. Dort gibt es ein offizielles Camp mit 1.500 Menschen. Sie wohnen in Containern und wurden bis Weihnachten vom Militär mit warmen Mahlzeiten versorgt. Das wurde aber zu teuer und aufwändig, also hat die Regierung beschlossen, für die Menschen nicht mehr zu kochen sondern ihnen Geldkarten zu geben, mit denen sie selber einkaufen können. Das Problem ist nur, dass in dem Camp 80 Menschen wohnen, die sich illegal im Land aufhalten. Sie leben in einem Zelt, alle zusammen, schlafen auf dem Boden und bekommen seit Weihnachten nichts mehr zu essen. Ein Hilferuf aus dem Camp kam bei einer kleinen Kirchengemeinde an, die seit dem jeden Tag für 80 Menschen kochen.

Ich habe zusammen mit einer Organisation aus Holland und Kastro (mehr zu ihm siehe weiter im Text), Lebensmittel, warme Kleidung und einen großen Gaskocher ins Camp bzw. in die kleine Kirche gebracht. Solange die anderen Obst und Kleidung verteilten, kümmerte ich mich um die kranken Menschen. Erschrocken bin ich an den Kindern, die deutliche Zeichen einer Unterernährung gezeigt haben. Militär und die IOM sind weiter vor Ort, aber ihnen sind die Hände gebunden.

Der Plan ist nun, diese Menschen nach Athen in die Squats zu holen. Nur brauchen wir zuerst Platz, inzwischen leben in Exarchia 1.200 Flüchtlinge.

Nun zu Kastro. Ein Syrer, der aber schon lange in Griechenland lebt. Er hat die ersten Squats 2016 „eröffnet“ und ist nach wie vor für alle da. Kastro versucht alles, um die Menschen unabhängig zu machen von Regierung und Spenden. Deshalb hat er Land gepachtet, in einem Dorf 70 km entfernt von Athen und produziert dort Gemüse, Olivenöl, stellt syrischen Käse her und wünscht sich, dass sich Familien in dem Dorf niederlassen und das Dorf bevölkern und weiter Gemüse produzieren und somit wieder Geld verdienen können. Mit dem Gemüse werden nicht nur die Squats in Athen versorgt. Kastro hat einen „Social Market“ eröffnet, wo die Produkte der Farm verkauft werden und Falafel gekocht und das alles nach dem Motto „Zahl so viel du kannst oder willst“. Dieser Social Market wird von 6 „Single Man“ betrieben. Auch hat er überall „Cafe´s“ eröffnet, die auch die Produkte der Farm verkaufen, mit den Produkten kochen und auch diese Cafes werden von Griechen wie Flüchtlingen selbst organisiert. So hat er es in den letzten 2 Jahren geschafft, an 12 verschiedenen Stellen 127 Menschen die Möglichkeit zu geben, zu arbeiten, Geld zu verdienen und unabhängiger zu werden.

Ich habe mir alles angeschaut, vieles probiert (lecker) und bin sehr begeistert von der Idee und der Nachhaltigkeit.

Avicenna unterstützt auch dieses Projekt und als die erste Kuh finanziert war, hat Avicenna die Käse- und Joghurtmaschine dazu gekauft.

Auch wenn man bei uns in den Medien nicht mehr viel über die Flüchtlingskrise hört – sie hat sich nicht in Luft aufgelöst. Es hat sich nichts verändert. Diese Menschen leben auch auf europäischem Boden unter unwürdigen Zuständen und brauchen Hilfe. Danke an alle Spender, die es möglich machen, diesen Menschen zu helfen.

Ich habe so viel Dankbarkeit erlebt, dass ich es manchmal fast nicht aushalten konnte. Es ist nicht immer einfach, diesen Spagat hin zu bekommen. Diese Menschen wollen nicht nur bekommen und nehmen, sie wollen auch was zurück geben. Und das durch ihre Gastfreundschaft. Doch dem konnte ich gar nicht immer nach kommen, da ich sonst nur gegessen und Tee getrunken hätte.

Natascha Köhler berichtet von Ihrem Einsatz in Athen (Dezember 2018/Januar 2019).