Casa Base Jungendzentrum für Mädchen

Ein sicherer Ort

„Wenn die kleine Sara nochmal das Teil vom Wasserschlauch klaut, dann schneide ich ihre Hände ab.“ stellt Mauricio im Vorbeigehen fest. Das ist Liebe, denke ich mir grinsend. Ich beobachte ihn, während er kopfschüttelnd den Garten absucht. Wie idyllisch diese paar Quadratmeter hinter der Fabrikhalle, die Mauricio sorgsam mit Rasen und Bäumen bepflanzt hat, erst wirken müssen, wenn man Tag ein Tag aus auf Betonmauern und NATO Draht schauen muss. Das Flüchtlingscamp Anagnostopoulou liegt direkt neben dem Casa Base Jungendzentrum für Mädchen. Zwei Orte die unterschiedlicher nicht sein könnten. Das wird schon an den beiden „Gastgebern“ deutlich. Auf der einen Seite ein ehemaliger Polizeichef aus Lesbos, der sich nur in Begleitung seiner „Gorillas“ seinen Weg durch das Camp bahnt. Die Camp Leitung wurde ihm aufgrund seines kompromisslosen Umgangs mit den Flüchtlingen übertragen. Von dieser Art von Flüchtlingspolitik verspreche man sich eine rasche Weiterreise der Neuankömmlinge, heißt es unter den Freiwilligen. Auf der anderen Seite Maurizio. Der ehemalige Fotograf ist seit seiner ersten Reise zum Camp in Idomeni nicht mehr in seine italienische Heimat zurückgekehrt. An verschiedenen Hotspots baute er Jungendzentren auf, um den Kindern in dieser traumatisierenden Umgebung einen geschützten Raum zu bieten. Nun ist er seit einigen Jahren hier, in der Nähe von Thessaloniki und hat die alte Fabrikhalle zu einem Zuhause für diejenigen umgebaut, die so dringend eines benötigen. Unermüdlich kümmern er und sein Team aus wechselnden Freiwilligen sich um die vielen Belange seiner Schützlinge: medizinische Betreuung, Verteilung von Grundnahrungsmitteln an alle Camp Bewohner – die Grundversorgung von offizieller Seite reicht bei weitem nicht aus – Unterricht und die tägliche Betreuung für die Mädchen und jungen Frauen, die das Glück haben ihre Tage im Casa Base, statt im gegenüberliegenden Camp zu verbringen. „Unverschämt, wie zufrieden der Typ aussieht”, bemerkt mein Begleiter Freddy und es stimmt. Helfen zu dürfen, ist wohl am Ende das größere Geschenk. Wir sind für kurze Zeit hier, um das Casa Base bei seiner täglichen Arbeit zu unterstützen – die dringend benötigten Freiwilligen sind dieser Tage fast alle in der Ukraine – und sind völlig vereinnahmt von der Atmosphäre dieses Ortes. Die Mädchen hier fühlen sich so wohl, zeigen sich so ausgelassen und natürlich, wie sie es vielleicht nicht einmal Zuhause konnten, bevor die Krisen oder Kriege sie zwangen ihre Heimat zu verlassen. Kess, laut, lustig, keine Spur vom Klischee zurückhaltender, islamischer Mädchen. Sie feuern uns lachend an, während Freddy und ich rumalbern, mit den Schubkarren um die Wette rennen und Erde im Garten aufschütten.

„Onkel, dein Snack“, die kleine Alam reißt mich aus meinen Gedanken. Sie hält mir mit einem breiten Lächeln den täglichen Obstsalat hin, den ich eigentlich für sie zubereiten sollte. Die ständige Hilfsbereitschaft, die ich hier bei fast allen Mädchen sehe, speist sich aus einem Gefühl der Zugehörigkeit. Mit stolz geschwellter Brust tragen diejenigen, die am längsten hier sind, die Team T-Shirts. Selbstverständlich wie große Schwestern übernehmen sie die Verantwortung für die Kleineren. Und wenn sie erst auf ihren Fotoworkshop zu sprechen kommen, den der italienische Fotograf Mattia mit ihnen veranstaltet, dann kennt der Stolz keine Grenzen mehr. Mehrere renommierte Preise haben die Mädchen mit ihren Fotos schon gewonnen, die Modezeitschrift Vogue macht bald eine Ausstellung.

Die Momente, in denen die ausgelassene Stimmung mich beinahe vergessen lässt, warum die Kinder hier sind, werden jäh unterbrochen, wenn ich manchen ihrer Gespräche lausche. Eine Gruppe Mädchen brüstet sich untereinander damit, wer am ehesten beinahe ertrunken wäre auf der Überfahrt im Schlauchboot. Eine andere Gruppe hat gestern „Schmuggler“ gespielt. „So jetzt musst du die Pistole hochhalten und alle zwingen in das zu kleine Schlauchboot zu klettern. Gib ihnen nicht so viel Benzin, ja das reicht!“ Die Situationen, von denen sie nicht erzählen, kann ich nur vermuten, hinter einem etwas zu hysterischen Lachen oder den plötzlichen Stimmungsumbrüchen, bei denen die eben noch spielenden Kinder sich plötzlich mit einer Härte anstarren, die ihr Vorbild eindeutig in Erlebnissen hat, die kein Kind kennen sollte. Und dann denke ich daran, wie die Mädchen ihren Tag auch jetzt wohl verbringen würden, wenn es diesen Ort nicht gäbe, eingesperrt in die stickigen Container, aus Angst vor den Gefahren im Camp. Kein Platz zum Spielen, sich zu begegnen, keine Möglichkeit zu lernen. Manche sind seit fünf Jahren hier und hätten ohne diesen Ort ihre halbe Kindheit verpasst. Was für Erwachsene wären sie geworden? Stattdessen sehen sie im Gegensatz zu ihren Eltern auch ein freundliches Gesicht dieses Kontinents, der nun ihr Zuhause sein wird. Die meisten sprechen jetzt nicht nur die Sprachen, die hier unterrichtet werden, sondern haben sich zudem noch ihre gegenseitigen Landessprachen beigebracht. Damit sind sie von großem Wert für ihre, oftmals auch Analphabeten-Familien. Zusammen mit dem hier gewonnenen Selbstvertrauen wird das ihre Position stärken. Aber wichtiger noch, sie können in dieser so prägenden Phase ihres Lebens eine Hoffnung in das Leben bewahren, die bei einem so frühzeitigen Verlust kaum wieder herzustellen wäre. Es ist ein großes Geschenk das Maurizio und sein Team diesen Kindern machen und es ist ein ebenso großes Geschenk, dass die Kinder ihnen machen. Wir selbst tun uns schwer morgen früh wieder gehen zu müssen, denn die Zeit mit diesen tapferen, lustigen und gütigen Mädchen hat unsere Herzen geöffnet. Und außerdem treffen sich ausgerechnet morgen Abend alle, um den Mond zu beobachten, durch Mauricios Teleskop. Und alle dürfen lange aufbleiben. Und es gibt Musik und Saft und Schokokekse.

Das Casa Base benötigt ihre Unterstützung. Im letzten Monat reichte das Geld schon nicht mehr aus, um die dringend benötigten Nahrungsmittelpakete zu besorgen. Auf www.quickresponseteam.gr. können Sie direkt an das Casa Base spenden oder Sie spenden über Avicenna. Seit Jahren übernehmen wir auch die Kosten für die Medikamente der Lagerbewohner.

Am 6.Oktober 2023 ist Maurizio, der Gründer vom QRS und Case Base an den Folgen eines Risses seiner Hauptschlagader gestorben. Wir bedauern zutiefst den Verlust eines wunderbaren Menschen. Bitte helfen Sie mit, dass die Arbeit von Casa Base fortgesetzt werden kann.