Einsatzbericht Ukraine – 1.3. bis 5.3.2022

Wie für die meisten Menschen in Deutschland, war der Ausbruch des Krieges in der Ukraine für alle Mitglieder des Münchner Avicenna Teams eine Tatsache, die schwer zu begreifen und noch schwerer zu akzeptieren war. Und wie so oft in internationalen humanitären Krisen, waren die Reaktionen von Regierungen zu langsam, um den direkt betroffenen Menschen den Schutz und die Unterstützung zu gewähren, die sich ein Jeder von uns in einer solchen Situation wünschen würde.

Avicenna ist eine kleine, aber schnelle Organisation. Im Krisenfall sind wir schnell vor Ort, um Geflüchteten und Vertriebenen in den ersten schweren und meist chaotischen Tagen zu helfen. Wir verteilen Hilfsgüter direkt vor Ort und sammeln Informationen und Kontakte, die es später ermöglichen weitere Hilfsaktionen zu veranlassen, wenn wir nicht mehr vor Ort sein können.
Nachdem wir am 26.2.22 an einer der ersten Anti-Kriegs Demonstrationen in München teilgenommen haben, stellten wir uns die Frage: Wann, wenn nicht jetzt und hier ist leider wieder eine Krisen-Situation in der Welt entstanden, der wir uns mit unserer Arbeit bei Avicenna widmen möchten. Mit jedem Tag nahm die Zahl der Berichte über Flüchtlingsbewegungen zu. Hunderttausende waren gezwungen, Ihr Zuhause in der Ukraine hinter sich zu lassen, um Ihr Leben in Sicherheit zu bringen. Jeden Tag. Also beschlossen wir an diesem Wochenende einen Einsatz für die Ukraine vorzubereiten, Hilfsgüter in die Ukraine zu bringen und Geflüchtete auf ihrem Weg zu unterstützen.

Ukraine Nach ersten Spendenaufrufen über das Wochenende hatten wir bis Montagmorgen ca. EUR 60.000,-an Spendenzusagen erhalten, welche sich im Laufe der Woche noch auf EUR 100.000,- erhöhen sollte. Avicenna hat ein breites Netzwerk an Unterstützern, mit einigen sehr großzügigen Spendern, die seit Jahren unsere Arbeit in der Türkei und anderen europäischen Ländern ermöglichen. Doch das Ausmaß an Unterstützung, welches wir dieses Mal erfahren haben, war auch für uns in dieser Form neu. Neben Geldspenden haben wir innerhalb von 24 Std. 6 Fahrer aus München gefunden, die ihre Pläne für die kommende Woche abgesagt haben, um mit uns an die ukrainische Grenze zu fahren. Geschäftstermine wurden verschoben, Urlaube wurden abgebrochen. Und zu unserer großen Freude, hatten wir in einem LKW einen ukrainischen und einen russischen Fahrer, gute Freunde, die in München zusammen studieren und jetzt den betroffenen Menschen helfen wollten.

Aus dem Freundeskreis und über Social Media bildete sich innerhalb eines Tages ein Helferteam von 10-15 Volunteers, die uns bei der Organisation unterstützt haben. Es wurde von morgens früh bis spät in die Nacht organisiert, eingekauft und gepackt. Apotheker unterstützten mit medizinischen Hilfsgütern, Möbelhäuser mit Matratzen und ein Unternehmen das Babynahrung vertreibt, spendete uns die Hälfte unseres Einkaufs von 8 Tonnen eben dieser Babynahrung. Dienstagabend waren wir nach 48 Std packen und organisieren soweit und brachen um 22.30h mit drei bis unter das Dach beladenen LKWs in Richtung Ukraine auf.

Durch die laufende Kommunikation mit dem Zivilen Krisenstab (ein Zusammenschluss von über 80 NGO in Deutschland), hatten wir zwei Ziele für unseren Einsatz auserkoren. Erstes Ziel war an der polnisch ukrainischen Grenze hinter Rzeszow. Mit unseren Kontakten zu Helfern auf der Ukrainischen Seite hatten wir einen Treffpunkt direkt hinter der Grenze auf ukrainischer Seite vereinbart, um dort unsere Güter umzuladen.

Nach ca. 16h Std. Fahrt waren wir von München über Österreich und Tschechien in Polen angekommen. Ca. 2 Std. vor der ukrainischen Grenze, verlor einer unserer Lastwagen immer mehr an Geschwindigkeit, so dass wir, trotz der ungeduldigen Anrufe unserer ukrainischen Kontakte, die dringend auf die Hilfslieferungen warteten, von der Autobahn abfahren mussten. Durch einen glücklichen Zufall befand sich direkt neben der Autobahnabfahrt eine große LWK Werkstatt, die unseren Laster innerhalb kürzester Zeit reparierte. Ein neuer Luftfilter und die Tour konnte fortgesetzt werden. Nachdem wir den Mechanikern erzählten, dass wir auf dem Weg in die Ukraine waren, wurden uns Reparatur und Material kurzerhand geschenkt, als Support für die Ukraine. Mit reichlich Verspätung trafen wir dann an der ukrainischen Grenze ein und wurden nach 2-stündigem Stau und kurzer Inspektion unserer Ladung auf die ukrainische Seite durchgewunken.
Es begann die Umladung von unseren 3 LKWs in 7 kleinere lokale Transporter. Es wurde alles an Transportfahrzeugen aufgefahren, was gerade verfügbar war. Wir entluden 300 Matratzen, ca. 2t Babynahrung, medizinische Hilfsgüter, Decken, Hygieneartikel, haltbare Lebensmittel. Unsere ukrainischen Kontaktleute waren eine bunt gemischte Gruppe, vom Professor bis zum LKW-Fahrer, alle vereint, um den Menschen in ihrem Land zu helfen, ungeachtet der Gefahr, die das für sie selbst mit sich brachte. Das Ausmaß der zu erwartenden Flüchtlings-Krise wurde uns während des Umladens immer bewusster, je länger wir die nicht abreißenden Ströme von Frauen und Kindern mit Rollkoffern beobachteten, die uns zu hunderten zu Fuß passierten, um wenige Meter weiter die Ukraine zu verlassen und sich nach Polen in Sicherheit zu bringen.

Nachdem die Umladung erfolgt war, fuhren wir zurück nach Krakau, um dort zu übernachten. Um 2h morgens ging ein sehr langer Tag mit vielen emotionalen Begegnungen zu Ende, wohl wissend, dass wenige hundert Kilometer von uns ein Krieg im Begriff war, das Heimatland von vielen Millionen Menschen zu zerstören.

Der folgende Tag war als Einkaufs-Tag geplant, da wir sämtliche unserer Güter am Vorabend übergeben hatten. In der Region um Krakau machten wir einen Großhandel sowie mehrere große Supermärkte ausfindig, um erneute Babynahrung, Hygieneartikel und haltbare Lebensmittel einzukaufen. Nach den immer gleichen anfänglichen Verständigungsschwierigkeiten fanden sich überall vor Ort wohlwollende Helfer, Supermarkt-Mitarbeiter oder auch Kunden, die uns als Übersetzer halfen unsere Einkäufe in den ungewöhnlichen Größenordnungen zu erledigen. Einen unserer LKW schickten wir am Abend mit einigen unsere Fahrer zurück, da die 10-köpfige Familie unseres Ukrainischen Volunteers mittlerweile selber aus Kiew in Polen eingetroffen war und er dort unterstützen musste. Der Rest von uns machte sich abends mit zwei gut gefüllten LKW auf den Weg Richtung Slovakai, wo wir spät am Abend an unserem Übernachtungsort in Kosice eintrafen. Wiederum beendeten wir einen Tag, bewegt von den Bildern dieses Tages. Vom unglaublichen Zuspruch und der Solidarität, die wir in Polen erfahren hatten, bis hin zu polnischen Rentnern, die uns nach der Kasse im Supermarkt ihre Einkäufe auf unsere Paletten legten, da sie auch einen Beitrag leisten wollten.

Früh morgens ging es am nächsten Tag weiter nach Ungarn, zu unserem letzten Ziel nach Nyirmeggyes. Wir hatten dort, wieder über den Zivilen Krisenstab, Kontakt zu einer lokalen NGO bekommen, die wiederum direkt ihre Schwester-Organisation in der Südwest Ukraine belieferte, von wo aus die Waren ins Landesinnere weiterverteilt werden. Wir entluden unsere 2 LKW Ladungen, suchten noch einmal einen nahe gelegenen Lebensmittel-Großhandel auf, füllten die LKWs nochmals und entluden ein weiteres Mal.

Nun war es an der Zeit den Rückweg anzutreten, wir schafften es an dem Abend noch nach Budapest zur letzten Übernachtung, bevor wir die letzten Kilometer gen München in Angriff nahmen. In der Summe haben wir in 4 Tagen ca. 2.900km zurückgelegt und ca. 14t Hilfsgüter im Wert von ca. EUR 60.000,- verteilt.

Seit unserer Rückkehr haben wir weitere 6t an Babynahrun in die Ukraine geschickt sowie gemeinsam mit unseren Partnern vom Zivilen Krisenstab ein dringend benötigtes Ultraschall Gerät angeschafft. Mit den restlichen finanziellen Mitteln arbeiten wir zurzeit daran einen Transporter zu kaufen, der in der Ukraine als Krankenwagen eingesetzt werden kann und welchen wir in Kürze mit Medikamenten gefüllt auf den Weg in die Ukraine schicken möchten.

Im Namen vom gesamten Team sagen wir Danke für Eure Unterstützung, ohne die das alles nicht möglich gewesen wäre.