Bei den Rohingyas in Bangladesch von Schahab Kermani
Das Mittagessen wurde eben abgeräumt. Unsere Gastgeberin entschuldigt sich, dass es heute nur Fisch gab. Morgen werde sie wieder ein Huhn für uns auftreiben. Die Wände aus Plastikfolie der kleinen Hütte, in der wir sitzen, geraten in Bewegung. Sie werden abmontiert, leise, um den Schlaf meines Begleiters Freddy nicht zu stören. Über ihm wacht der Sohn der Familie. Er wedelt dem Gast den Rauch der Räucherstäbchen zu und erschlägt jedes Moskito, das es wagt, sich ihm zu nähern. Das Dach wird abgenommen, die Hütte langsam in ihre Einzelteile zerlegt, um Platz zu machen für die neue Behausung, die wir für die Familie bauen lassen. Ich versuche erneut anzubieten, dass wir die Hütte verlassen, den Arbeitern ihre Aufgabe erleichtern. Aber eine solche Unannehmlichkeit für uns kommt natürlich nicht in Frage. Stattdessen wird mir, auf den kurzen Befehl der Hausherrin, noch ein Kissen hinter den Rücken geschoben. Ich schaue zur Tür heraus auf das nicht enden wollende Meer an Hütten, kleinen Geschäften, Moscheen, Schulen und vor allem Menschen, unzähligen Menschen. Das Flüchtlingslager Kutupalong, welches mittlerweile mit den umliegenden Lagern zu einem Riesendorf zusammengewachsen ist, gleicht einem riesigen Ameisenhaufen und reicht viel weiter als das Auge durch den Staub zu sehen vermag. Ein karger, sandiger Hügel nach dem Anderen. In wenigen Wochen beginnt die Regenzeit. Es wird die Erste für die vielen dieses Jahr hinzugestoßenen des Volkes der Rohingyas ausserhalb der Heimat. Man kann sich kaum schlechtere Umstände ausmalen, um dem monatelangen Sturzregen und berüchtigten Winden dieses Landstrichs zu begegnen. Die Campleitung hat in Vorbereitung darauf, gestern zweihunderttausend Leichensäcke liefern lassen, erzählt mir einer unserer Bekannten Vorort in einem Nebensatz.
Wir bauen Bambushütten. Wir hoffen, damit dem Monsun etwas Stabileres entgegenzusetzen, als die hier üblichen, provisorischen Plastikunterkünfte, zumindest für die achtunddreißig Familien in diesem Block, derer wir uns angenommen haben. Die Konstruktionen bewegen sich an der Grenze dessen, was die Regierung erlaubt. Stabile Behausungen sind hier nicht gern gesehen. Man fürchtet, das würde die Vertriebenen dazu verleiten, hier in diesem ohnehin armen und überbevölkerten Land sesshaft zu werden.
Gestern waren wir an der Grenze. Hinter dem breiten Fluss lag Myanmar und die nahegelegensten Dörfer der muslimischen Minderheit. Dichter Rauch stieg von ihnen auf. Ein Schiff hatte angelegt. Heraus und über den langen Steg wurden mit brutalen Schlägen dutzende Kühe getrieben. Starke, gesunde Tiere, die nicht an solche Behandlung gewöhnt schienen. Die tätowierten Burmesen auf dem Schiff schauen mit unverhohlener Verachtung herunter. Allzu gut fügen sie sich leider in das Bild, das unser Führer uns vermittelt. Schmuggler, die ihre Kriegsbeute an die Bangladeshis verkaufen, so erzählt er. „Tax free cow“, fügt er mit einem traurigen Lächeln erklärend hinzu.
Eine Woche später. Die Hütten sind fertig. Wir überreichen jeder Familie ein kleines Präsentpacket dazu. Das Nötigste: Töpfe, Teller, Hygieneartikel, Spielzeug für die Kinder. Einen schönen Moment lang wirkt unser Bauprojekt wie ein fröhliches kleines Dorf, mit den Kindern, die begeistert Springseil springen und Fußball spielen. Dann mischt sich der Eindruck mit den Blicken der Bewohner des Nachbarblocks, deren Sprecher nun auch um solche Unterkünfte für die seinen bittet und um die Holzemporen, die wir zum Schutz vor dem regendurchässten Boden zu jeder Hütte dazu gegeben haben. Die restlichen eine Millionen Bewohner des Camps werden die Regenzeit wohl auf dem nassen Erdboden schlafen. Das übliche Mantra wiederholt sich: Man kann nicht allen helfen. Einigen etwas Freude, etwas Schutz spenden, sich kümmern, eben so gut man kann, ein paar Menschen zeigen, dass es ein paar anderen Menschen woanders nicht egal ist, was mit ihnen passiert. Das ist schon viel. Das sieht man in den Gesichtern hier. Ein sanftes Ziehen an meiner Hand reisst mich aus den Gedanken. Unsere Gastgeberin bittet uns in die neue Hütte. „Das Essen ist fertig“ , sagt sie und fügt dann mit einem heimlichen Anflug von Stolz hinzu: „Es gibt Hühnchen.“
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