Ein Beitrag von Eva Beehren, die uns bei unserem letzten Aufenthalt in Idomeni begleitet und geholfen hat und dort auch weiter hilft.

“Es sind noch ca. 10.000 Menschen in Idomeni. Doch seit Sonntag, den 10. April mehren sich die Vorfälle, die Hunderte von Menschen auch weggehen lassen in die anderen Camps, vom Militär betriebene.

Es hatte eine heftige Tränengas- und Gummigeschossattacke gegeben, wegen einer sehr emotionalen  Demonstration an der Grenze, bei der auch Steine flogen.
Viele Menschen, viele Frauen und Kinder wurden durch das Tränengas verletzt, da es sehr weit ins Camp hineingeschossen wurde. Ein aufkommender Sturm trieb das Gas dann noch über die Felder zu den völlig Unbeteiligten. Es war fürchterlich anzusehen.

Ein arabisch verfasstes Flugblatt von Samstag soll der Auslöser gewesen sein, dem Gerücht nach von Aktivisten (Volunteers) verbreitet. Seitdem wird jede/r von der Polizei kontrolliert und die Autos z.T. durchsucht. Es gab verschiedentlich Festnahmen von Volunteers, Deutsche, Spanier u.a. Aber nach m.W. sind alle wieder freigekommen, einige mussten allerdings länger in Arrest bleiben wegen Besitz eines Messers. Die Medien haben z.T. auch in diese Richtung berichtet und ihre Überschriften entsprechend reißerisch aufgemacht.

Gestern, am 14. April,  zwischen 11 und 12 h morgens hat es hier einen Kampflug Einsatz gegeben mit mehreren griechischen Maschinen, die zum Teil im Tieffllug über Polykastro und Idomeni flogen. Ich war gestern nicht dort, kann mir aber lebhaft vorstellen, wie die Stimmung dort war.

Meine Gespräche mit Refugees-Familien laufen immer ähnlich ab: Warum bleibt ihr hier? In den anderen Camps ist es sicherer und sauberer als hier. Antwort: Wenn wir von hier weggehen, vergisst uns Europa.

Ich habe mir mit drei anderen Vounteers drei von den Camps angesehen. Wir sind mit dem Auto den ganzen Tag rumgefahren. Im ersten, in Gianniza, haben wir keinen Zutritt bekommen. Polizei und Armee gaben uneinheitliche Auskünfte: Polizei: Stellt eine  Antrag bei der hiesigen Polizeidienststelle, die Armee: Ihr müsst einen Antrag beim Innenministerium stellen. Die Auskunft einer UNHCR Mitarbeiterin ergab, der Innenminister ist zuständig.

Das Lager selbst lag an einer lauten Durchgangsstraße, mit militärisch angeordneten Zeltreihen, wenig ansprechend von aussen. Als wir kamen, verließen mehrere afghanische Familien mit Sack und Pack das Camp. Die mitgenommenen Schlafsäcke mussten sie wieder abgeben.

Ins zweite Camp, in Veria, liess uns das Militär hinein. Wir wurden von einem sehr aufgeschlossenen jungen Militärmenschen rumgeführt, dabei auch dem obersten Chef des Camps vorgestellt. Der wollte natürlich wissen, was wir wollten. Wir waren ein perfektes Team, Helga, 60, (aus Lübeck, dort auch journalistisch für ihre Flüchtlingsorganisation tätig) stellte ganz gelassen ihre Fragen, an ihrer Seite der junge Spund David, 25, mit blondem Pferdeschwanz und kurzen Hosen, ebenfalls gelassen und sehr höflich. Dan, ca. 32, der Amerikaner blieb im Hintergrund und ich konnte in Ruhe fotografieren. Der ‘hohe’ Boss war anfangs ein bisschen steif, hielt erst eine Rede, bevor er dann unsere vorsichtigen Fragen beantwortete. Wir hatten uns – nach den Erfahrungen im ersten Camp – nicht sofort getraut, um Einlass zu bitten. Stattdessen waren wir wie normale Touristen erstmal in den Wanderweg am wunderschön gelegenen See eingebogen. Dort trafen wir auf einen jungen Syrier, der uns vom Leben im Camp erzählte. Es sei insgesamt nicht so schlecht, nur beim Frühstück die ewigen Croissants und der Fruchtsaft dazu sei eben zu wenig. Sie wohnten in Häusern, aber es gäbe kein warmes Wasser. Er wäre mit seinen kleinen Nichten und seinen Eltern hier, in Idomeni sei es ihnen zu gefährlich gewesen. Dort gäbe es die gleichen Konfliktlinien wie in Syrien, schrecklich.Seine Schwester wohne hier im Dorf, sie halte das Campleben nicht mehr aus.

So hatten wir also schon ein paar Vorabinformationen und konnten gezielter nachfragen. Das mit dem fehlenden Warmwasser stimmte, man sei dabei. Das Camp wäre aber erst seit 2 oder 3 Tagen in Betrieb, so etwas dauere eben. (In allen 3 angesehenen Camps gab es dieselbe Situation, gerade bezogen, aber noch kein warmes Wasser). Das Camp Veria liegt am Berghang mit Blick auf den See und die umliegenden Berge, die Kinder, vor allem die Kleinen,  können gefahrlos überall spielen, keine Autos, dafür jede Menge schattenspendende Bäume. Inzwischen ist hier nämlich Sommer, wir haben immer Temperaturen um die 25 Grad.

Ins dritte Camp, in Katerini, durften wir ebenfalls hinein. Ein griech. Volunteer (Militär und Polizei waren nicht vor Ort) erklärte uns, sie hätten alles, alles sei ok, sie kämen gut zurecht. Wir hatten überall ganz vorsichtig unsere Unterstützung angeboten, da unsere Lager übervoll wären und wir gern teilen würden. Dieser ‘stolze’ Grieche wollte nichts. Dieses Lager lag wieder an einer lauten Durchgangsstraße, etwas abseits vom Ort. Es ähnelte eher einem ehemaligem Fussballplatz für das dahinterliegende kleine Gewerbegebiet, auch hier militärisch angeordnete Zeltreihen. Einige Kinder putzten sich grad vorn am Wasserkran die Zähne, kein bisschen Intimsphäre bei dieser Wasserstelle. Frauen wuschen in den bekannten bunten Plastikschüsseln Wäsche.

Draussen sprach uns Elias, ein Grieche,  auf deutsch an  – er lebt in Köln –  und erzählte ganz etwas anderes als der ‘stolze’ Grieche. Elias gehörte einer Sozialeinrichtung an, die in Katerini schon länger arme griechische Familien unterstützt, auch bzgl. ärztlicher Versorgung. Nun würden sie auch dieses Camp mitversorgen und hätten eigentlich von allem nicht genug. Eine Ärztin für über 500 Menschen. Die Solaranlage vorm Camp hätten sie aus Spendenmitteln gebaut, damit es endlich warmes Wasser gibt.  Helga hat dann sofort das allernotwendigste organisiert.

Die Situation in den Auffangcamps für die ‘gestrandeten’ Refugees ist behelfsmässig, ähnlich wie in Deutschland. Ohne die Unterstützung ehrenamtlicher HelferInnen wäre die Lage genauso trostlos.Inzwischen soll es wohl vermehrt Anstrengungen geben, dass sich einige NGO’s von Idomeni um die Mitarbeit in den Camps bemühen.

Ich bin hin- und hergerissen. Einerseits der Schmutz und das z.T. menschenunwürdige Wohnen oder besser gesagt Hausen in Idomeni, was  trotz aller Aktivitäten und schönen Errungenschaften nicht zu übersehen ist. Zu den schönen Dingen gehören z.B. die spanischen Ärzte, in deren gelben  Zelt auch  Bita und Khalil Kermani gearbeitet hatten. Sie haben nebenan 2 weitere Zelte aufgebaut. Eines dient dem Babywaschen – Helfer schleppen den ganzen Tag Wasser an – , das andere als Rückzugsort für stillende Mütter.Dann gibt es jetzt ein kleines Kulturzentrum mit angeschlossener Schule, alles viel zu klein, aber gut besucht. Die Schule braucht Bücher, Hefte und Stifte. Vor allem arabisch-englische Dictonaries.

Die Grundbedürfnisse sind zwar inzwischen einigermassen erfüllt, aber die Familien wollen auch gern selbst kochen. Feuerstellen und Kochtöpfe sind meist vorhanden, aber es fehlt noch an Geschirr und Lebensmitteln.

Ansonsten fehlt es an Unterwäsche für Frauen, langen Sommermänteln und Leggins. Auch sehr lange T-Shirts werden immer wieder nachgefragt sowie ein Sommerkopftuch. Die Frauen laufen zum Grossteil noch in den dicken Wintermänteln herum. Kopfbedeckungen in Form von Cappis mit Schirm sind auch sehr gefragt. Die Sonne sticht hier ganz schön vom Himmel, nächste Woche sind 28 Grad angesagt. Auch Schuhe für Männer sind ein grosses Problem. Was wirklich zuhauf vorhanden ist, sind Babykleidung und Kinderschuhe.

Viele haben sich ein Shelter gebaut, aber in der Schlange zum Duschen oder Essenanstehen ist nicht immer Schatten. Wir haben schon alle Regenschirme verteilt, die da waren. Aber bei 10.000 Menschen ist das immer nur ein Tropfen im Ocean, wie eine Gruppe hier so schön heisst.

Trotz all den Schwierigkeiten kann ich gut verstehen, dass die Menschen hier ausharren, um nicht ganz und gar vergessen zu werden von der Öffentlichkeit.”
Eva Baehren

P.S. Ihre Spenden an Avicenna werden u.a. auch über Eva Beehren für die Unterstützung der Menschen in Idomeni verwendet.