Neues von Tiafi nach Corona
ein Bericht von Alexander Wollert
Nach drei Jahren voller Krisen durch die Flüchtlingswelle aus Syrien, der Covid-19 Pandemie, dem Krieg in der Ukraine, der Wirtschaftskrise mit folgender Inflation sowie Bombenanschlägen in Istanbul und nun jüngst den Erdbeben im Osten des Landes bin ich zurück in die Türkei und zu TIAFI in Tepecik, İzmir, gekehrt. Im Jahr 2020 war ich das letzte Mal hier; Covid-19 verhinderte meine zügigere Rückkehr. Ich freue mich Anne, Derya, Anwar und Bilal wieder zu sehen und auch Zeynep endlich kennen zu lernen.
Ahmet hat es nun endlich geschafft und genug Spenden bekommen, um mit seiner Familie nach Kanada zu reisen.
Ein paar Tage werde ich nun hier sein und als Teil von Avicenna Kultur- und Hilfswerk e.V. unsere langjährige Partnerschaft und Freundschaft pflegen. Und natürlich mithelfen, wo ich kann.
Die Krisen haben dem Zentrum von TIAFI stark zugesetzt. Wegen der Ausgangssperre während der Corona-Krise musste das Gebäude für Monate geschlossen bleiben und die Leute konnten nur auf der Straße oder zuhause versorgt werden. Und nun suchen mehr denn je Flüchtlinge aus dem Aus- und nun auch Inland hier Hilfe.
Etwa vierzig bis siebzig neue Familien registrieren sich pro Tag für Hilfe und Versorgung. Erdbebenopfer erhalten Decken und Pakete mit Essen sowie anderen Dingen für den täglichen Bedarf. Dabei handelt es sich um Türken, Iraker und in der Türkei lebende Syrer, die das Grauen aus ihrem eigenen Land überstanden haben.
Versorgungspakete werden verpackt und bereitgestellt. Andere arme Menschen versuchen ebenfalls solche Pakete zu ergattern und müssen weggeschickt werden. Sie werden zeitnah auch wieder etwas bekommen, doch nun ist die Not bei den Erdbebenopfern am größten.
Die Toleranz gegenüber Flüchtlingen nimmt in der türkischen Gesellschaft spürbar ab. Besonders bei den armen Türken gibt es viel Ablehnung angesichts ihrer schlechten Aussichten. Vier Millionen Flüchtlinge beherbergt das Land und auf den Straßen höre ich nur Russisch von den besser situierten Ukrainern und Russen, die sich aufgrund des Krieges in die Türkei abgesetzt haben. Wohnraum im Land ist knapp.
Mittags kommen Menschen zur kostenlosen Essensausgabe zu TIAFI. Vor allem arme türkische Familien aus der Nachbarschaft benötigen mehr als fünfhundert Portionen jeden Tag, die von syrischen Frauen in der Küche des Gemeinschaftszentrums zubereitet werden.
Während ich Fotos mache, die Kinder beschäftige, Buchhaltung betreibe, Essen ausgebe und Geschirr spüle erzählt mir Anne von den aktuellen Ereignissen, zu denen vor allem die schlimmen Schicksale der Hilfesuchenden. Da ist der Junge, der mit seiner Familie verschüttet wird. Sein Bruder stirbt neben ihm und er verliert sein Bein. Jetzt hofft er auf eine Prothese, für die 1500€ benötigt werden.
Dann ist da die Frau mit fünf Kindern, von denen drei gehbehindert sind. Ihr Mann ist verschollen und sie hat weder Geld, noch die Möglichkeit etwas zu verdienen, unter diesen Umständen.
Und dann ist da die andere Frau, ebenfalls alleine mit fünf Kindern. Ihr ältester Sohn wurde von einem Auto angefahren und liegt seitdem im Koma. Ich habe Geld von Spendern aus Deutschland mitgebracht, mit die Familien unterstützen kann, doch es wird nur vorübergehend reichen.
Avicenna unterstützt TIAFI in den meisten Bereichen, sei es mit Geld für die Küche, Geld für die Versorgungspakete, Geld für die Kinderbetreuung oder Geld für die Physiotherapie.
Vor zwei Jahren starteten wir gemeinsam ein Projekt mit den W.P. Schmitz-Stiftungen, dass besonders den alleinerziehenden Frauen auf der Flucht zugute kommen soll.
Ich bin sehr froh diese Kurse nun in der Realität zu sehen, nachdem wir zusammen so lange an den Konzepten und der Umsetzung gearbeitet haben und sich die Öffnung der Schule wegen Corona immer wieder nach hinten verschob.
Tiafi erhielt jüngst Spenden in Form von einem Spielplatz, der auf dem Dach des Gebäudes Platz fand. Ein eingezäunter Fußballplatz, Rutschen und Schaukeln erfreuen jetzt die Kinder.
Ich schaffe es nur kurze Augenblicke Fotos zu machen, dann werde ich von den Kindern, die schon so viel Schreckliches erlebt haben, ins Spiel eingebunden.
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