März 2018 – Athen
Im Stadtteil der „Anarchisten“ in Athen leben zu Beginn des Frühlings 2018 etwa 3.200 nicht
registrierte Flüchtlinge aus Afghanistan, dem Nahen Osten und Afrika in etwa zwanzig
Unterkünften. Staatliche Hilfe, in Form einer kostenlosen medizinischen Versorgung oder einem
Taschengeld von 100 Euro im Monat für das erste Familienmitglied und je 50 für die Weiteren,
gibt es nur für diejenigen, die sich in Griechenland offiziell registrieren lassen. Sie dürfen dann
aber auch in keinem anderen EU-Land einen Asylantrag stellen.
Verschiedene NGO‘s, einheimische Helfer und vor allem die Flüchtlinge selbst versuchen Hilfe
zu organisieren. Es gibt etwas Essen, Sprach- und andere Kurse und auch etwas medizinische
Hilfe.
Wir waren in einer ehemaligen Schule, in der etwa 250 Menschen untergebracht sind. Im Hof
stehen ein paar Toilettenkabinen. Es gibt kein Wasser in der Schule, in einem Zimmer wird eine
medizinische Versorgung vom Docmobil angeboten. Wir waren auch bei der Versammlung der
Unterkunftsleiter aus den Kreisen der Flüchtlinge und einigen, meist einheimischen freiwilligen
Helfer. Jemand führt Buch und notiert, was gebraucht wird und wer etwas anbieten kann. Auf der
Suche nach einer Mittelsperson lernen wir Dimitris kennen, der seit zwanzig Jahren ein Haus
betreut, das ein anderer ehemaliger Schüler der Deutschen Schule Athens zunächst einheimischen
Obdachlosen und jetzt schon lange Flüchtlingen zur Verfügung stellt. Es leben zwischen 20 und
25 als Flüchtlinge registrierte Männer darin, zur Zeit aus Guinea (Konakry), Bangladesch, Mali,
Ghana, Iran, Elfenbeinküste, Kongo, manche mit gesundheitlichen Problemen.
Das Haus funktioniert nur Dank einer kleinen Gruppe von Freiwilligen, die sich um die
Flüchtlinge kümmern und versucht sie in die Gesellschaft zu integrieren. Es wird Kontakt mit
NGOs aufgenommen, wenn z.B. ein Rechtsanwalt, ein Psychologe oder ein Arzt gebraucht wird.
Avicenna übernimmt die seit Monaten offene Stromrechnung da sonst der Strom abgestellt zu
werden droht und Dimitri übernimmt die Verbindung mit dem syrischen Leiter der ganzen
Unterkünfte, um unsere finanzielle Unterstützung für die fehlenden Dinge, wie auch die
Wasserversorgung weiterleiten zu können. Außer der kontinuierlichen Hilfe für und über Dimitris
sind auch in Zukunft Besuche von Avicenna Helfern in Athen geplant.
Frühjar 2018 – Jordanien
Die Camp-Chefin, Abu Mudira genannt, versuchte im Scherz Serena mit einem ihrer Söhne zu
verheiraten. Serena kommt aus Venedig, engagiert sich für Flüchtlinge seit sie vor ein paar Jahren
in Rente ging und packte bei unserem Projekt mit an. Daneben unterhielten sich Gaia, eine
weitere fleißige Helferin aus Italien, und ein paar Lagerbewohner über die Qualität der Schafe, die
wir gespendet hatten. Der jordanische Schafzüchter, der die Tiere mit seinem Pick-up persönlich
zum Camp fuhr, hörte aufmerksam zu; wahrscheinlich um einzugreifen, sollte jemand seine
Schafe kritisieren. Er entspannte sich, als er die allgemeine Zufriedenheit wahrnahm.
Mich freute die gelöste Stimmung genauso und ich wendete mich wieder der Unterhaltung mit
Hassan zu. Hassan gehört zu einer einflussreichen Familie im und um Al-Mafraq im Norden
Jordaniens. Wer Hilfe leisten möchte, kommt um Absprachen mit den Bani Khalids nicht herum.
Sein Clan tritt eher wie ein innovativer Dienstleister für Hilfsorganisationen auf, als sich wie eine
Mafia zu gebärden. Er handelte uns Preise auf Großmärkten aus, zu denen wir allein niemals
hätten einkaufen können. Zur Kontrolle holten wir öfters selbst gefeilschte Angebote ein. Dazu
hielt er die Ansprüche der jordanischen Großgrundbesitzer von uns fern, auf deren Land die
Flüchtlinge campieren.
Alessandro möchte ich hier besonders danken, auch wenn er kein Deutsch versteht. Er arbeitete
für Caritas im Norden Jordaniens und hat seinen Urlaub damit verbracht, Avicenna rund um die
Uhr zu unterstützen. Ohne seine Ortskenntnis, sein Arabisch, seine Kontakte und seinen
unermüdlichen Einsatz hätte ich niemals Hilfsgüterausgaben in drei verschiedenen Camps, die
Renovierung der Toiletten in einer Schule für Geflüchtete und die Versorgung der syrischen
Familien in den Armenvierteln Ammans organisieren können.
Soforthilfe für die Camp-Bewohner an der syrischen Grenze
Im Norden Jordaniens arbeiten viele Hilfsorganisationen, doch fast alle, und besonders die großen
Geber, haben ihre Projekte auf Nachhaltigkeit ausgelegt. Ganz im Sinne der UNO-
Entwicklungsziele versuchen sie die Region strukturell aufzuwerten. Viele Soforthilfeprogramme
liefen dagegen aus, weshalb die Geflüchteten auch im siebten Jahr des Syrienkrieges noch
kämpfen müssen, um über die Runden zu kommen.
Ich hatte erwartet, dass die Versorgung mit dem Nötigsten inzwischen flächendeckend
funktioniert, und wir von Avicenna uns auf maßgeschneiderte Hilfe konzentrieren können:
Arztbesuche, einzelne Ausbesserungen der Camp-Infrastruktur, bedarfsgerechte Förderung der
Kinder mit Schulmaterial oder Werkzeuge für die Erwachsenen, die sich auf den Feldern der
Großgrundbesitzer verdingen. Manchmal zahlen die Landbesitzer Lohn, umgerechnet 1,20 € pro
Stunde; manchmal geben sie nichts und erklären, das sei die Miete oder für Strom.
Wir formulierten Fragebögen für die Geflüchteten, ließen sie auf Arabisch übersetzen und fuhren
mit gleich drei Dolmetscher/-innen in die Lager, um mit jeder Familie einzeln sprechen zu
können. Wir wollten möglichst jeden Bewohner anhören und mit ihnen gemeinsam über die
Hilfsmaßnahmen entscheiden. Zu unserer Überraschung ergab sich überall ein ähnliches Bild. Die
Syrer wünschten sich vor allem Nahrungsmittel.
Zwar vergibt der UNHCR Essensmarken, die in vielen Supermärkten eingelöst werden können,
doch diese Vouchers sind zum Tauschobjekt geworden. Sie sind das einzig Handelbare, das die
Geflüchteten besitzen. Muss ein Kind zum Arzt, braucht die Mutter Hygieneartikel, ist der Mann
krank und kann nicht arbeiten, zerreißt der Wind eine Zeltplane oder wächst der Sohn aus seinen
Klamotten heraus, bleibt der Familie nur die Essensmarke als Zahlungsmittel. Die Camp-
Bewohner baten um Essen, damit sie Marken sparen können. Denn wer weiß heute schon, was
morgen passiert?
Unter diesen Eindrücken passten wir uns den Bedürfnissen an und lieferten Nahrungsmittelpakete
in alle drei Camps, die wir besucht hatten. Die Pakete enthielten Reis, Linsen, Zucker, Salz, Öl,
Tee, Nudeln, Datteln, Milchpulver, Fruchtsaft, Tomatensauce, Gewürze und noch mehr.
Zusätzlich schnürten wir Hygienepäckchen für die Frauen mit Shampoo, Seife, Damenbinden und
Hautcremes. Viele Kinder leiden in den trockenen Witterungsbedingungen und aufgrund von
Mangelernährung an rissiger und entzündeter Haut.
In einem Lager, weit abgelegen und in Sichtweite zur syrischen Grenze, trafen wir auf mehrere
schwangere Frauen, denen die Hitze zusetzte. Außerdem berichteten uns die Männer, dass ihnen
die Mittagspause von der harten Feldarbeit kaum Erholung verschaffe, wenn es heiß ist. Wir
entschieden gemeinsam, jeder Familie auch einen Ventilator mitzubringen. Unsere Testversuche
ergaben, dass genug Strom im Camp ankommt, um einige Ventilatoren gleichzeitig laufen zu
lassen. Mit dem Geld der Avicenna-Unterstützer bezahlten wir auch die Befüllung der
Wassertanks. Zwei LKW-Ladungen verteilten die jordanischen Lieferanten auf die weißen, acht
Kubikmeter fassenden Plastiktonnen.
Investition in die Menschen: Selbstversorgung und Bildung
Im Jaber-Camp von Abu Mudira leben ausschließlich Witwen und alleinstehende Frauen mit
ihren Söhnen und Töchtern. Inzwischen, nach sechs Jahren im Camp, sind einzelne Kinder
untereinander verheiratet, sodass dort auch Familien in der klassischen Konstellation Mutter-
Vater-Kind leben, aber es sind die Frauen, die nach wir vor den Ton angeben. Ich weiß nicht, ob
es an ihnen liegt, dass im Jaber-Camp eine ausgesprochen gemeinschaftlich orientierte Gesinnung
vorherrscht. Aber während wir in anderen Camps auf Angst vor Konflikten stießen, wenn wir auf
Gemeinschaftsgüter zu sprechen kamen, schlug Abu Mudira uns eine kleine Schafherde für das
gesamte Lager vor. Unser Budget reichte für fünf gesunde, Milch gebende und noch junge Schafe.
Die Schafe können die Geflüchteten nur mit Milch versorgen, aber wir hoffen, den ersten Schritt
in Richtung Subsistenzwirtschaft ermöglicht zu haben. Wir hoffen, dass andere
Hilfsorganisationen anhand der kleinen Schafsherde sehen, wie gut diese Menschen
zusammenarbeiten, und ihren Weg unterstützen.
In Al-Mafraq, in dessen Ballungsgebiet inzwischen knapp eine halbe Million Menschen lebt,
betreibt die italienische NRO Vento di Terra gemeinsam mit der Jordan Relief Organisation eine
Schule für ungefähr 300 Flüchtlingskinder. In zum Teil eigens angemieteten Bussen kommen die
Kinder aller Altersklassen aus den Camps in die Stadt. Vento di Terra unterstützt die Schule seit
zwei Jahren, verfügt über eine gesicherte Finanzierung für weitere zwei Jahre und bewirbt sich
beim italienischen Außenministerium um eine Verlängerung des Projekts über 2020 hinaus. Das
Budget von Vento di Terra reicht gerade so für die Deckung der laufenden Kosten. Die Lehrer
wollen entlohnt, Strom und Wassergebühren entrichtet, die Miete bezahlt und die Tische und
Stühle, Tafeln und Kreide, Hefte und Stifte gekauft werden.
Vor einigen Wochen erlitt das Abwassersystem der Bäder einen Totalschaden. Die Toiletten
mussten geschlossen und die Ladenbesitzer im Erdgeschoss des Gebäudes beruhigt werden, da
ihnen das Abwasser in die Verkaufsräume tropfte. Dank der Spenden konnten wir die Bäder
renovieren lassen. Die Rohre wurden repariert, die Toiletten, neben acht Plumpsklos auch eines
zum Sitzen, und Wasserhähne erneuert und die Bäder grundgereinigt. Avicenna konnte so zu
einer besseren Lernatmosphäre beitragen, dem Schulprojekt den Rücken stärken und ein Zeichen
für die Bildung der Flüchtlingskinder aus der Region setzen.
Isoliert in der Millionenmetropole: Syrische Familien in Amman
Zu Beginn des Krieges, als Jordaniens Behörden den Zustrom der Schutzsuchenden noch nicht an
der Grenze kontrollierten, schlugen sich Tausende Syrer bis nach Amman durch. Während die
syrischen Bauern das Leben im Camp ertrugen, suchten vor allem die Städter ihr Glück in der
Metropolregion. War es ihnen zunächst untersagt, Wohnungen anzumieten, hob die jordanische
Regierung das Verbot auf, als die Szenen des Elends in den Straßen und auf den Dächern über den
Hügeln der Stadt unerträglich wurden.
Das Arbeitsverbot gilt dagegen weiterhin, sodass die syrischen Familien in den ärmeren Vierteln
Ammans oft isoliert leben. Da die meisten Jordanier selbst zu wenig besitzen, um teilen zu
können, hoffen viele Syrer auf die „Zakat“ reicher Spender aus den Golfstaaten. „Zakat“ ist eine
der fünf Säulen des Islam, die die Gläubigen zur Unterstützung der Bedürftigen verpflichtet.
Trotzdem müssen sich die meisten Familien verschulden, um ihren (Über-)lebensunterhalt zu
bestreiten.
In vielen Fällen lässt allein die Gesundheit ein Leben in einem Wüstenlager nicht zu. Wir
besuchten sechs syrische Haushalte in Amman und trafen Väter mit Krebs oder chronischen
Rückenleiden, behinderte Jugendliche, verängstigte Kinder, die sich nachts einnässen, und
traumatisierte Eltern, die die Alltagsbewältigung an ihre psychischen Grenzen führt. Außer einem
Ramadan-Essenspaket mit Datteln, Tee und mehr, das jede der sechs Familien bekam, halfen wir
gemäß den individuellen Bedürfnissen. Den größten Teil unserer Besorgungen machten
Medikamente aus. Dazu bezahlten wir Mieten, kauften Schulmaterial und Spielzeug für die
Kinder, Hygieneartikel, Haushaltsequipment, Kinderkleidung und Babynahrung.
Beim Teetrinken mit Abu Mudira und den anderen fühlte ich mich müde, aber glücklich. Wir
konnten vielen Menschen helfen und wurden unsererseits großartig unterstützt. Doch schon als
wir im Auto auf dem Rückweg in Richtung Amman saßen, entdeckte ich abseits einer eher
verlassenen Straße ein weiteres kleines Flüchtlingslager. In der Wand des einzigen Zeltes, das ich
im Detail erkennen konnte, klaffte ein riesiges Loch. Ich dachte: Für uns alle gibt es noch viel zu
tun.
Sommer 2018 – Athen
In Athen warten viele Tausend Menschen auf eine Fortsetzung ihrer Flucht in die Freiheit. Damit
sie nicht in Griechenland bleiben müssen, haben sich viele nicht offiziell registrieren lassen und
bekommen somit auch keine staatliche Unterstützung.
In einer ehemaligen Schule leben einige hundert Menschen mit Frauen und Kindern. Es gibt kein
Wasser und somit auch keine sanitären Anlagen, außer ein paar Dixi-Toiletten. Der Verein der
freien Syrer, gegründet von Flüchtlingen die registriert sind, sowie einige NGO’s, darunter
Avicenna, versuchen diesen Menschen zumindest ein wenig zu helfen.
Avicenna finanziert seit dem Frühjahr die Reinigung der Dixi-Toiletten und versucht gleichzeitig
mit Hilfe des griechischen Freundes Dimitri eine Lösung für das Wasserproblem zu finden.
Dimitri kennt den entsprechenden Minister, aber immer wenn eine Lösung in der Nähe ist, wird
sie von Nachbarn der Schule vereitelt. Wir hoffen, dass Dimitri irgendwann das Abwasserproblem
lösen kann.
Herbst 2018 – Thesaloniki
Zurzeit warten ca 20.000 Migranten auf den griechischen Inseln auf ein menschenwürdiges Leben
– dreimal so viele, wie in den Lagern Platz haben.
Laut offiziellen Angaben wurden zwischen dem 1. Mai und Ende August 2018 bereits 3.950
Flüchtlinge zum griechischen Festland gebracht. Im gleichen Zeitraum seien aber 5.450 neue
Migranten aus der Türkei angekommen.
Im Umkreis von Thessaloniki wurde deshalb auch das uns von der letzten Reise bekannte
Vagiohori vor einigen Monaten wieder eröffnet. Jetzt im Oktober leben hier 320 Menschen,
überwiegend Farsi oder kurdisch sprechende Menschen in 75 Zelten. Manche haben vor sich in
Griechenland registrieren zu lassen oder haben dies bereits getan, andere planen bereits, je nach
Budget, ihre Weiterreise. Dank unseres iranischen Ursprungs konnten wir mit den meisten
kommunizieren. Wir halfen mit Grundnahrungsmitteln und durften außerhalb des Lagers auch
medizinisch arbeiten. Auf Grund der bevorstehenden kalten Jahreszeit ist aber schon die
Schließung des Lagers geplant.
Etwa 2.000 Menschen auf der Flucht warten jetzt im Herbst 2018 in Nordfrankreich an der
Küste, in der Hoffnung auf eine Überfahrt nach Großbritannien. Seitdem der “Dschungel“
von der Polizei aufgelöst wurde, halten sich die meisten in den umliegenden Wäldern oder
den Parks auf. Viele sind noch nicht vorbereitet auf den Winter.
“Help for refugees” bat um Hilfe und um das Kleiderlager der NGO’s in Calais zu füllen, startete
Avicenna eine Sammlung im Kölner Raum, an der sich sofort die bewährten Kölner Helfer
Beteiligten. Wir danken den Spendern und den Helfern der Kleiderkammer in Liblar und
Troisdorf und in Wesseling, vom Islamic releif in Marsdorf und vom Gewandhaus in Hürth und
Britta und ihren Freunden, die halfen über 100 Kartons mit Winterbekleidung, Zelten, etc.
zusammenzustellen. Und wir danken unserem Freund Elmar, den Tontechniker vom Lesbosfilm
für seinen Anhänger und seine Begleitung. Beide waren wir begeistert in dem großen Lager in
Calais so viele, wie immer meist junge, aber auch ganz alte Menschen zu treffen, denen das
Schicksal ihrer Mitmenschen nicht gleichgültig ist.
Zehn Unterkünfte, sogenannte Squads, gibt es zur Zeit hier im Viertel und etwa 1.000 Menschen
leben darin.
Eine ist erst vor kurzem dazu gekommen und Farzad, ein Iraner, selbst ein Flüchtling, der in
kurzer Zeit griechisch gelernt hat und einen Falafelstand betreibt, kümmert sich um das Haus und
seine Bewohner. Farzad rief uns vor einer Woche an, mit der Bitte um Hilfe. Unsere
Telefonnummer hatte er von einem jungen Syrer, der inzwischen in Holland studiert und
regelmäßig nach Athen kommt, um zu helfen. NGO’s sind selten geworden und dürfen sich
gemäß einer Übereinkunft mit den überforderten Einheimischen auch nicht mehr als solche zeigen
und für diese neue Unterkunft fehle jede Unterstützung. Es ist ein zuvor leer stehendes
Bürogebäude mit fünf Etagen für die über hundert überwiegend Frauen und Kinder.
Die Zimmer bestehen aus mit Bettlaken abgetrennten Einheiten, in denen gerade genug Platz ist
für die dünnen Matratzen, die ein Nachbar gestiftet hat. Stolz zeigen die Bewohner die Dusche,
die sie in einer kleinen Toilette eingebaut haben. Am Spülstein der anderen Toilette werden
Kleider gewaschen und Geschirr gespült. Die Kinder scheinen sich trotzdem wohl zu fühlen. Sie
freuen sich über die vielen Spielsachen, welche die Apothekerin gespendet hat, bei der wir unsere
Medikamente kaufen, wie immer vor allem gegen Erkältungen und Schmerzen.
Es ist 22 Uhr und wir warten auf den LKW, der die beiden Kühlschränke, Waschmaschinen und
Herde und die fünf Heizungen, für jede Etage eine, bringen wollte, die wir gestern gekauft haben.
Mit ihren ebenfalls neuen Wischeimern aus dem Bazar kippen sie schon die ganze Zeit das
Wasser in den Rinnstein, mit dem sie endlich die Zimmer richtig putzen konnten. Alle warten
darauf, mit den neuen Herden und den neuen Lebensmittelvorräten in der improvisierten Küche
zu kochen. Und alle freuen sich auf unsere Freundin und bewährte Helferin Natascha, die
Krankenschwester aus Süddeuschland. Sie hat sich gestern auf unseren Anruf hin spontan
entschlossen, ihre Weihnachtsfeiern hier zu verbringen, um dann in allen Squads die Arbeit von
Avicenna fortsetzen zu können.
Winter 2018 – Iran
Die Anzahl von Flüchtlingen aus dem Iran hat im letzten Jahr stark zugenommen. Während dies
zu Beginn der Flüchtlingsbewegung meist Afghanen waren, die vor mehr oder weniger langer
Zeit dorthin geflohen oder bereits dort aufgewachsen waren, treffen wir in der letzten Zeit immer
häufiger Iraner, die durch das Wirtschaftsembargo ihre Existensgrundlage verloren haben. Fragen
wir Einheimische, wie weit der Gedanke an eine Flucht in den Westen verbreitet ist, antworten
sie, über drei Viertel der ärmeren Mittelschicht mache sich Gedanken über eine Flucht aus dem
Land. Hinzu kommen die anhaltende Dürre, die ausufernde Arbeitslosigkeit und die fehlende
Aussicht auf eine Besserung der Lebensumstände. Unsere wichtigste und häufigste Aufgabe
besteht in einer Aufklärung der Menschen über die Aussichtslosigkeit und die Schwierigkeiten
einer Flucht. Unsere materielle Hilfe bezieht sich auf die sozial untersten Bevölkerungsschichten,
die um ihr tägliches Brot kämpfen.
Waisenkinder: Gleich zu Beginn unserer Reise haben wir uns in Isfahan mit jemandem
verabredet, der aus politischen, bzw. religiösen Gründen auf unbestimmte Zeit verwaiste Kinder
unterstützen möchte. Wir kaufen für Kinder von fünfzig Familien gemäß einer genauen Liste
Winterbekleidung, Schuhe und Lebensmittel.
Eine Behindertenschule auf dem Land: Auf unserer letzten Reise hatten wir bei einem Ausflug in
die Wüste eine Gruppe Kinder und Jugendliche getroffen, die von ihren Betreuern gefüttert
wurden. Wir erfuhren, dass es sich um eine kleine Behindertenschule handelt, deren staatliche
Finanzierung sich auf das karge Gehalt der Lehrer beschränkt und begannen eine finanzielle
Unterstützung. Bei einem Besuch der Schule, erfuhren wir jetzt, dass durch die seit Jahren
anhaltende Dürre die Eltern nicht mehr den Schulbus finanzieren können. Wir beschlossen nicht
nur die Fahrtkosten, sondern auch erstmals die Kosten für eine Therapeutin, für einen neuen
Trinkwasserspeicher zu übernehmen und dem Direktor ein gebrauchtes Handy zu besorgen.
Medizinische Hilfe: Auf unser gesamten Reise wurden wir auch medizinisch in Anspruch
genommen. Allgemeinmedizinische Hilfe bestand vor allem in einer Beratung bezüglich der
Einnahme der vorhandenen Medikamente. Vor allem Antibiotika und Antidepressiva werden
wahllos und viel zu häufig und zu hoch dosiert genommen. Eine manuelle orthopädische Hilfe
gibt es so gut wie überhaupt nicht. Entsprechend viel Arbeit gab es überall, begonnen bei der
eigenen Familie, bei den Dorf- und Stadtbewohnern unterwegs, in Lehmhütten, auf dem Basar,
am Straßenrand. Überall ließen sich Männer und Frauen gerne behandeln und waren sehr willig
zu lernen, sich und ihre Angehörigen selbst zu behandeln.
Lebensmittelversorgung für die Ärmsten: Wo immer wir uns nach Bedürftigen erkundeten,
wussten die Menschen uns mit zahlreichen Adressen weiter zu helfen und begleiteten uns beim
Einkauf und der Verteilung von Lebensmitteln. Meistens waren es Familien, die ihren Vater
verloren hatten oder Alleinstehende alte Frauen und fast immer lebten sie in schlimmeren
Umständen als alles, was wir auf der Flüchtlingsroute gesehen hatten. Und gewohnt von Almosen
aus der Nachbarschaft zu leben, fragten sie immer wieder nach der Herkunft unserer Hilfsmittel
und waren glücklich und dankbar von unseren überwiegend deutschen Spendern zu erfahren.
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