Ein Tag voller Wunder

Bericht aus November 2015
„Die Hilfe wächst organisch“, sagen viele der in Lesbos lange Zeit anwesenden freiwilligenHelfer, z.B. Henry aus England, der zusammen mit Samuel aus Spanien und einigen anderen jungen Menschen an der Nordküste von Lesbos in Skala Sikaminea die Lighthouse Gruppe gegründet hat. Lighthouse, weil der Leuchtturm, der weit entfernt von der nächstenStraße, an einer unwegsamen Steilküste steht, nachts das Ziel für viele auf dem Meer Richtung Europa fahrende Boote darstellt. Inzwischen haben sie nachts auch Freiwillige, die mit Lampen, die Menschen zu besser zugänglichen Küstenabschnitten lenken und Hilfe rufen, wenn ein Boot in Sicht ist. Sie leiten die Menschen an Land und versorgendiese mit Tee, Butterbroten und so wenn nicht zuviele Boote gleichzeitig kommen auch mit trockener Kleidung und manchmal sogar mit Decken und einer Übernachtungsmöglichkeit in Zelten. Als wir das erste Mal auf Lesbos waren, gab es nur eine kleine Wasserflasche in die Hand für die folgenden 60 km bis zu den Hauptlagern. Inzwischen gab es von den Adventisten ein Medicomobil und von den griechischen „Anarchisten“ ebenfalls Tee, Brote und für Einzelne trockene Kleidung. UNHCR und MSFhaben inzwischen Busse organisiert, die von einem Zwischenlager, das auf Initiative des jungen, amerikanischen Pater Christifero vom UNHCR betrieben wird, zu den Hauptlagern fahren. Als es Ende Oktober drei Tage hintereinander regnete, flossen Bäche voller Schlamm durch alle Zelte und nichts trocknete mehr. Rupert Neudeck, der Gründer derGrünhelme schaute sich das an und schickte Hilfe: Niko und Simon haben in kürzester Zeit alle Zelte auf der Insel mit einem Holzboden winterfest gemacht. Kommen zuviele Boote nachts, müssen trotzdem Hunderte und manchmal Tausende nass und z.T.ohne Decken draussen schlafen.

In Moria, der zentralen Registrierungsstelle für alle und dem Hauptlager der Afghanen und Iraner ist das trotz zahlreicher in den letzten Wochen u.a. vom UNHCR aufgebauter Zelte immer noch die Regel. Gesichert durch meterhohe Drahtzäune und mit Schlagstöcken bewaffneten Polizisten betreiben UNHCR und msf ( Ärzte ohne Grenzen) eine kleine medizinische Versorgungsstelleund geben vereinzelt Decken und Kleidung an Frauen und Kinder, die das Glück haben an einer versteckten Gittertür danach zu fragen. Während anfangs Wartezeiten von einer Woche mit mehrere Tagen ohne Wasser und Nahrung Schlange stehen die Regel waren, kommen die meisten jetzt innerhalb von drei bis vier Tagen zu ihrem Zettel, mit dem sie die Erlaubnis haben, sich für 60 Euro ein Fährticket zu besorgen oder auch Mal in einem Hotel zu übernachten. Bei unserem ersten Besuch fingen wir mit Butterbroten an. Navid schickte die Nr. von Efi aus Pikpa, einem von jungen Griechen betriebenem vier Sterne Auffanglager für versehrte Flüchtlinge. Dort sagte man uns warmes Essen für 800 Menschen zu, wenn wir es transportieren und verteilen. Inzwischen gibt es auch Essen von Oxfam und einer arabisch/palästinensischen sowie einer niederländischen Gruppe. Aber niemand verteilt Decken oder Schlafsäcke. Jemand erzählte uns von Eric und Filipa. Die ersten Male brachten wir Decken und Kleidung von diesem englischen Paar, das dafür im Norden eine Spendenannahmestelle in ihrem Garten organisiert hat. Wir verteilten an die Menschen, die wir transportierten, an die kleinen Lageran der Küste sowie unter den Olivenbäumen im Dreck lagernden Familien in Moria. Als es keine Decken mehr gab , erfuhren wir von Patrik aus Deutschland im Lager von Calloni. Der bis zum Rand mit Schlafsäcken vollgestopfteBus reichte nur für die ersten fünfzig Meter der Schlange, die unser Sohn Schahab, zusammen mit einigen der Afghanen innerhalb von wenigen Minuten in Moria organisiert hatte. Nach der dritten Fahrt hatten wir abgeräumt.

Wir tranken am 18. November unseren letzten Frühsstückscafe im Hotel Gorgona, das sich auch sofort als Annahmestelle für Kleidung etc. zur Verfügung gestellt hat, und waren ratlos. Es gab keine Decken oder Schlafsäcke mehr. Da erreichte uns die Telefonnummer von Peter, der ein Lager in der Halle einer griechischen Spedition südlich von Calloni organisiert. Bita blieb in Skala und versorgte im Medimobil der Adventisten Hunderte von Bedürftigen. Schahab und ich fuhren zum Lager, wo zig tausend teilweise schmuddeliger, eng in großen Ballen zusammengepresster Decken, auf einen Abnehmer warteten.
schahab moria2Mit dem ersten Bus kamen wir mit ca.500 Decken auf die ersten achtzig Meter der hunderte von Metern langen Doppelschlangevon Frauen und Kindern sowie der weit mehr jungen Männer. Wir hatten noch drei Stunden bis zur veranredeten Abholzeit des Essens aus Pikpa und verspachen den Menschen in der Schlange in einer Stunde wiederzukommen. Aber was machen wir mit den Tausenden, die wieder leer ausgehen oder auch was machen die miteinander, wenn die oft wilden Männer den Wagen stürmen und wie es auch Anderen schon passiert war, Frauen und Kinder nieder trampeln ? Nur ein Lastwagen voller Decken kann da helfen, sagte Schahab. In der Spedition angekommen, lud gerade ein riesiger LKW Waren aus. Wir fragten den griechischen Chef und er stellte für ein Paar Hundert Euro seinen Wagen und belud ihn ließ ihn mit seinem Gabelstapler füllen.
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Begeistert fuhren wir mit Höchstgeschwindigkeit vor, um die Entladung irgendwie vorzubereiten, aber wie und wo ? Auch das ergab sich „organisch“. Ausnahmsweise war genug Platz im rechten Eingangsbereich, der LKW bahnte sich einen Weg durch die Menschen und wir konnten aus sicherer Höhe mit vielen schnell rekrutierten Helfern in kurzer Zeit die Frauen und Kinder versorgen. Danach waren die Männer nicht mehr zu bändigen und wir warfen in großen Bögen solange Decken bis der Wagen leer und Moria voll davon war. Mein Traum hatte sich erfüllt. Wir bekamen als Sondergeschenk vom Leben noch etwas Zeit für einen reinigenden Sprung ins kühle Meer und einige Minuten Stille umrahmt vom allerschönsten Sonnenuntergangspurpur, den die Natur als Kontrastprogramn zu Moria herzaubern konnte.

In Pikpa luden wir den Bus mit 800 Essenschalen voll. Wie parkten im Dunkel vor Moria, um herauszufinden, wo wir diesen Tropfen auf dem hungrigen Stein verteilen können, ohne das die verbleibenden Hungrigen die Leere in ihrem Bauch mit noch mehr Verzweiflung oder Wut füllen. Wir fanden eine viele Hundert Meter lange Schlange und die verzweifelte Gruppe der verschleierten Nadija aus Holland, denen gerade die 1800 Mahlzeiten dabei waren auszugehen. Und so wie Jesus Wasser in Wein verwandelte, brachte uns das Leben genau rechtzeitig. Das ungläubige Staunen im Blick der Helfenden vergesse ich nie, als ich sagte, I have food. You can only help Moria, if you work together, versuchte ich die Gruppen auch für die Zukunft zu verbinden. Still fuhren wir wie jede Nacht zurück in den Norden, als mir einfiel, das der heutige Tag eigentlich auf einem „Fehler“ bei meiner Rückflugbuchung beruhte. Wir mussten genau diesen Tag noch da bleiben.