Ein Bericht von Shahab Kermani über die Lage auf Lesbos

Die Lage auf Lesbos ist geprägt von Stagnation und das am deutlichsten ins Auge stechende ist Hoffnungslosigkeit, auf allen Seiten.

Die Aussicht auf Asyl ist gering und der Prozess langwierig. Laut einer Analyse von Amnesty International wird die Registrierung und Verteilung der Flüchtlinge bei dieser Geschwindigkeit achtzehn Jahre dauern.

Die Fähre, die den, mit viertausend Menschen völlig überlasteten Hotspot Moria, als Unterkunft entlasten sollte, wurde abgesagt. Die Zelte, die allesamt vor einigen Tagen im Feuer vernichtet wurden, sind weitgehend ersetzt worden und das, was mittlerweile Alltag geworden ist, nimmt wieder seinen Lauf.

Mit jedem Tag wächst die Unzufriedenheit, auch auf Seiten der hiesigen Bevölkerung, die in Zeiten der Wirtschaftskrise einen Großteil ihrer Haupteinahmequelle den Tourismus zum großen Teil verloren haben. Dies stärkt auch die extreme Rechte, deren Operationen Thema ständiger Gerüchte sind. Die mittlerweile wöchentliche Demonstration der Flüchtlinge trifft mittlerweile nur noch auf müde Blicke.

Die Euphorie, die wir bei unserem letzten Besuch bei der Ankunft der Menschen in Europa erlebt haben, ist schon lange vergangen. Alle Freiwillige, die noch vor Ort sind, tun was sie können, um eine Grundversorgung der Menschen zu ermöglichen.

Mit Rafat al-Hamoud und seinen Freunden verteilen wir Kleidung und Essen von der NoBorderKitchen an diejenigen, die bei dem Feuer geflohen sind, da ihre Abschiebung bevorsteht. Sie haben sich im Wald versteckt. Die Polizei droht mit Verhaftung, für diese nächtlichen Lieferungen.

Mit Mohamadin und Herrn Mahdi aus Picpa haben wir Kontakte zu dem Sprecher der Afghaner hergestellt. Dieser hat uns mittlerweile eine Liste mit den nötigsten Hilfsgütern für die einzelnen, bedürftigen Familien (aller Nationen) geliefert. Mit Unterstützung von Arris dem Verantwortlichen für das Warenhaus von Attika, werden wir morgen die bestellten Pakete liefern und versuchen eine fortlaufende Zusammenarbeit beider Seiten für das neue Belieferungssystem von Attika zu etablieren.

Doch dem Warenhaus fehlt es an neuen Hilfsgütern und der Winter naht. Dank der Arbeit von Tanja Schmidt und Herrn Kaweh aus Köln, sowie natürlich allen Menschen, die Geld und Kleidung gespendet haben, konnten bereits Hilfsgüter gesammelt werden. Bastian Jordan, ein örtlicher Olivenöllieferant übernimmt den Transport und die dringend gebrauchten Hilfsgütern können hierher geschickt werden. Die Waren werden bei Attika entgegengenommen und mit dem neuen Belieferungssystem wird hoffentlich eine schnelle und gezielte Belieferung der Menschen möglich sein, so dass sie diesen Winter etwas besser überstehen. Wieviele Winter diesem noch folgen werden, weiß keiner.

Zudem werden neue Boote aus der Türkei erwartet und sollte der EU-Türkei Deal platzen, worauf sich hier bereits vorbereitet wird, sind wieder große Flüchtlingswellen zu erwarten, vergleichbar mit denen, die im Frühjahr kamen. Dann hätte die ohnehin überlastete Insel wieder mehrere hundert Neuankömmlinge pro Tag zu versorgen.

Für die Menschen ist der Weg abgeschnitten, in beide Richtungen. Sie sitzen hier fest, sind zu großem Teil getrennt von ihren Familien.

Ein alter afghanischer Mann sitzt neben mir im Lager von Picpa. Er erzählt mir seine Geschichte: „Meine Tochter ist in Österreich. Man lässt mich nicht zu ihr. Meine Frau ist tot und meinen Sohn habe ich an der iranischen Grenze verloren und seitdem nichts mehr von ihm gehört. Lebt er? Ist er gestorben? Ich weiß es nicht. Ich sitze hier fest, seit sechs Monaten, kann auch nicht mehr zurück. Ich höre Lügen und Vertröstungen jeden Tag und die Wahrheit ist, ich bin sehr müde. Habe schon zwei Mal versucht, es zu beenden. Ich will einfach nicht mehr leben.“

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